Jennifer Egan: "Manhattan Beach"

Starke Frauenfigur in einfach gestrickter Erzählung

Buchcover: "Manhattan Beach" von Jennifer Egan
Jennifer Egan macht in "Manhattan Beach" Begehren und Erotik literarisch greifbar, verliert aber die eigentliche Geschichte aus dem Blick. © Imago / Ocean Photo / S. Fischer Verlag
Von Andrea Gerk |
Mit "Der größere Teil der Welt" legte Jennifer Egan die Messlatte in Sachen Spannung und Aktualität hoch – und erhielt dafür den Pulitzer Preis. "Manhattan Beach", der neue Roman der US-amerikanischen Schriftstellerin, bleibt weit dahinter zurück.
Im Mittelpunkt von Egans Geschichte steht eine eigenwillige Frauenfigur: Anna, die während der großen Depression auf dem New Yorker Werftgelände zu arbeiten beginnt. Ihr Vater ist spurlos verschwunden, wodurch sie zur Alleinversorgerin der Mutter und ihrer behinderten Schwester geworden ist. Als Anna eines Tages beobachtet, wie Taucher in bleischweren Anzügen und mit kugelrunden Metallhelmen in die Bucht hinabgelassen werden, beginnt sie davon zu träumen, ebenfalls Taucherin zu werden.

Ergreifend intensive Szenen

Allen gesellschaftlichen Widerständen zum Trotz absolviert Anna die Ausbildung zur Marinetaucherin als beste ihrer Gruppe und erlernt damit nicht nur einen der gefährlichsten Berufe, die es während des Zweiten Weltkriegs gab, sondern auch einen, der für Frauen eigentlich Tabu war. Parallel dazu erzählt Egan von charismatischen Mafioso Dexter Styles, der Teile der New Yorker Unterwelt dirigiert und der auch nicht wenig mit dem Verschwinden von Annas Vater zu tun hat.
Immer wieder gelingen Jennifer Egan in "Manhattan Beach" ergreifende Szenen, die zeigen, was für eine großartige Erzählerin sie ist. Wie sie auf nur 30 Seiten von einem Schiffbruch erzählt, bei dem Annas Vater beinahe ums Leben kommt, ist von unvergleichlicher Intensität: Fast meint man, die sengende Hitze, den quälenden Durst und die Müdigkeit, die alle Angst und Not der Sterbenden gnädig dämpft, selbst zu erleben. Auch mit der Beschreibung einer ekstatischen Liebesnacht, die Anna ausgerechnet mit dem Mann verbringt, der ihren Vater töten wollte, zeigt Egan, dass es durchaus gelingen kann, Begehren und Erotik literarisch greifbar zu machen.

Einfaches Strickmuster der Erzählung

Neben derartigen literarischen Glanzstücken wirkt allerdings vieles auf diesen knapp 500 Seiten umso hölzerner. Warum Annas behinderte Schwester von überirdischer Schönheit sein muss – quasi als Gegenbild zur burschikosen und tatkräftigen Protagonistin – bleibt ebenso fragwürdig wie erstaunlich schiefe Bilder und Vergleiche, etwa, wenn es über Dexter Styles heißt, dass sich "in seinem Inneren langsam ein dunkler Regenschirm der Sorge öffnete". Das ist unfreiwillig komisch und sprachlich so klischeehaft wie das einfache Strickmuster, nach dem Egan zwischen den verschiedenen Erzählebenen hin und herspringt.
In einem Interview erzählt die Autorin von ihren mehr als zehn Jahre dauernden Recherchen zu diesem Buch, das sie tief in die Geschichte Manhattans während des Zweiten Weltkriegs, des organisierten Verbrechens und in die faszinierend fremde Unterwasserwelt geführt habe. Offenbar hat sie sich zu sehr in ihr Material verliebt und dabei die eigentliche Geschichte – und was diese mit unserer Gegenwart zu tun hat – aus dem Blick verloren.

Jennifer Egan: Manhattan Beach
Roman
Aus dem amerikanischen Englisch von Henning Ahrens
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2018
508 Seiten, 22 Euro

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