Jenny Erpenbeck: "Kairos"
Penguin, München 2021
384 Seiten, 22 Euro
Die Suche nach Wahrheit
05:18 Minuten
Über die DDR zu sprechen, fand Jenny Erpenbeck lange schwer. In ihrem neuen Roman "Kairos" geht es nun um eine Liebesbeziehung und das Ende der DDR. Mit zeitlichem Abstand könne sie jetzt ausdrücken, was sie bewegt, sagt die Schriftstellerin.
"Mir ist es immer schwergefallen, über die DDR zu sprechen", sagt die Schriftstellerin Jenny Erpenbeck. Jetzt tut sie es doch - literarisch. In ihrem neuen Roman geht es um das Ende der DDR. Der zeitliche Abstand sei jetzt groß genug, sagt Erpenbeck.
Liebe zwischen zwei Generationen
"Kairos" handelt von der Liebe zwischen der 19-jährigen Katharina und dem 53-jährigen Hans. Hans, 1933 geboren, sagt von sich selbst, er sei als Kind ein begeisterter, kleiner Nazi gewesen. Katharina kommt, wie Erpenbeck selbst, 1967 auf die Welt. Sie und Hans lernen sich in den letzten Jahren der DDR kennen.
Katharina blickt zu Hans auf. Er bringt viele Anregungen und Ideen über Kunst in ihr junges Leben. Ihre Liebe zu dem erwachsenen Mann ist für sie die Bestätigung, dass auch sie im erwachsenen Leben angekommen ist.
Instrumentalisierung der Schuld
Als Hans herausfindet, dass Katharina eine Nacht mit einem jüngeren Mann verbracht hat, macht er sie für die Belastung ihrer Beziehung verantwortlich. Er selbst ist allerdings verheiratet und will seine Frau nicht für Katharina aufgeben.
Hans instrumentalisiert Katharinas vermeintliche Schuld und verlängert seine Beziehung zu ihr dadurch, dass sie ihre Schuld abarbeiten muss. "Der fatale Punkt liegt darin, dass sie sich nicht nur gegenüber ihm rechtfertigt, sondern auch gegenüber sich selbst", sagt Erpenbeck. "Das ist für sie ein schmerzhafter Prozess, aus dem sie nicht so leicht herauskommt."
Die DDR und ihre Kunstsprache
Wie in der privaten Beziehung zwischen Katharina und Hans sei es auch in der DDR immer um die Suche nach Wahrheit gegangen, so die Schriftstellerin. So habe es staatlicherseits eine "Kunstsprache" gegeben, die immer das Lesen zwischen den Zeilen erfordert habe, das Nachdenken darüber, was gemeint sein könnte. Was ist Lüge, was ist Wahrheit? In der Doppelbödigkeit der Sprache sieht Erpenbeck Parallelen zwischen dem privaten und dem politischen Niedergang.
(nis)