Jenny Hval mit Blood Bitch auf Tour

"Blut ist frei − warum verstecken wir es?"

Die Musikerin Jenny Hval
Die Musikerin Jenny Hval © Jenny Berger Myhre
Von Christiane Falk |
In der Popmusik sieht man selten rot - nur Musiker wie Marilyn Manson oder die Band Kiss spielen mit Blut bei ihren Auftritten. Die Norwegerin Jenny Hval geht weiter: Sie hat dem Blut ein ganzes Album gewidmet hat: "Blood Bitch" heißt es.
In einem Song auf Jenny Hvals neuem Album hört man eine Freundin fragen "Jenny, von was handelt dein neues Album?" Und sie antwortet: "Von Vampiren". Die Freundin lacht, das sei ein wenig schlicht, aber die Sorge ist unbegründet. Es geht um viel mehr, hauptsächlich um Blut. Jenny Hval hatte das nicht geplant. Das Einzige, was sie sich vorgenommen hatte, war die Songs akustisch aufzunehmen, doch das klappte nicht. Dieser Rahmen erwies sich als zu eng, er ließ ihr musikalisch zu wenig kreativen Freiraum. Jenny Hval folgte daher wie schon auf den fünf Alben davor lieber abstrakten Ideen.
"Ich war in den letzten Jahren mit Menschen auf Tour, denen ich vertraue und die ich sehr schätze. Auf Reisen lernst du die schmutzigen, unangenehmen Seiten von Menschen kennen, die du im Alltag nie mitbekommen würdest. Und du musst sie zu akzeptieren. Bei uns kam das Thema "Blut" immer wieder auf, weil wir viele Frauen waren. Wir haben über Menstruation gesprochen, weil das Thema nun mal alle betraf. Aber wir haben es auf eine kreative Ebene gehoben. Diese Gespräche haben wohl mehr zum Entstehungsprozess des Albums beigetragen, als mir in dem Moment bewusst war."
In der Aufnahmezeit beschäftigte sie sich intensiv mit Filmen, alle fernab des Mainstreams. Keine, die gute Kritiken bekommen hätten, schmunzelt sie.
"Als ich das Album geschrieben und aufgenommen habe – das passiert bei mir mehr oder weniger parallel – habe ich beschlossen, mir viele Horrorfilme anzusehen. Da war auch viel Blut zu sehen, aber auf ganz andere Art und Weise. Da habe ich kleine Dialogfetzen rausgenommen und für mein Album verwendet. Die wenigsten werden diese Filme kennen, sie stammen von einem Regisseur namens Jesus Franco, sie sind in den 70ern entstanden und einer davon heißt 'Female vampire'. Mein Songtitel ist nach ihm benannt."

Kein einsamer Vampir

Im Video dazu sieht man Jenny Hval mit mehreren Frauen. Gemeinsam vermitteln sie den Eindruck einer starken Gruppe und widersprechen somit dem gängigen Bild des stets einsamen Vampirs. Vielmehr teilen sie etwas Grundlegendes: Ihre Haut. Aneinander geschmiegt scheint die Haut der einen zur Haut der anderen zu werden. Keine dieser Vampir-Frauen – Jenny Hval nennt sie "Blood Bitches" entspricht einem gängigen Schönheitsideal und keine beißt zu:
"Es ist doch seltsam, wie Vampire in den meisten Filmen immer als Wesen dargestellt werden, die an Attraktivität nicht zu übertreffen sind, und die durch ihr Nichtaltern nicht schwindet. Es wird impliziert, Alterslosigkeit sei wertvoller als alles andere, und dass Schönheit über allem steht. Die Frauen in dem Video, meine 'Blood Bitches', sind eine Art Schlangen, die ihre Haut teilen und sich durch die Häutung wandeln - sie sind das Gegenteil der Vampir-Darstellung, die wir kennen."
Die Stimmungen und der Aufbau der einzelnen Songs auf Jenny Hvals neuem Album unterscheiden sich stark. "Conceptutal romance" ist der einzige einigermaßen konventionell strukturierte Popsong, andere wirken dagegen wie bewusst unfertige, sphärische Fragmente, in denen sich Gesang und Spoken Word Passagen abwechseln. Regelrecht bedrohlich erklingt "The Plague", es wird geschluchzt und geschrieen. Vertonter Horror mit rückwärts abgespielten Monologen und abrupten Soundabbrüchen:

"Es ist doch nur Blut"

Neben den Underground-Horrorfilmen habe sie zudem die Stimmung von Black Metal inspiriert, erklärt Jenny Hval, diese Form des Extrem-Metal, die dunkel und unheimlich wie Blut daher komme. Blut als verstörendes Element fasziniert sie genauso wie Blut als natürlicher Baustein eines jeden Menschen. Die Sängerin wertet bewusst nicht, versucht lieber, alle Facetten und Empfindungen, die Blut hervorrufen, zu beleuchten – textlich und musikalisch:
"Menstruation scheint bis heute als unangenehm empfunden zu werden – warum sonst versuchen wir, das Blut zu verstecken? Und warum wird es in der Werbung blau und nicht rot dargestellt? Ich will nicht die Haltung der Politik oder der Gesellschaft kritisieren oder ändern. Allerdings hebe ich Blut auf meinem Album auf eine gefährlichere Ebene an. Es wird ausgestoßen und kann Leben oder Tod bedeuten. Es ist ein Puls, ein Rhythmus. Blut ist frei, es gibt nicht die eine wahre Form. Das finde ich spannend."
Spannend ist tatsächlich nicht nur die Varianz, mit der Blut durch dieses Album fließt. In Jenny Hvals Kunstwelt gibt es weibliche Vampire, die fruchtbar sind, Frauen, die ihre Menstruationsblut überall hinschmieren wollen und Horrorfilmblut, das vergossen wird. Wer sich über dieses Album unterhält, kommt nicht drumrum, über Menstruationsblut zu sprechen – und zwar unabhängig vom Geschlecht.
Tatsächlich ist es auch im Jahr 2016 unter Frauen weniger Thema als beispielsweise der Samenerguss des Mannes oder Intimwaxing. Es ist eines des letzten Tabus, dem sich Hval nun mit ihrer Kunst entgegenstellt. Sie macht es sichtbar und entmystifiziert es: "Habt keine Angst, es ist doch nur Blut!" Ein großer feministischer Kniff, der "Blood bitch" zu einem der ungewöhnlichsten Alben des Jahres macht.
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