Jenny Odell: "Nichts tun. Die Kunst, sich der Aufmerksamkeitsökonomie zu entziehen"
Aus dem Englischen übersetzt von Annabel Zettel
Verlag C.H. Beck, München 2021
296 Seiten, 24 Euro
Gegen den Sog der sozialen Netzwerke
06:22 Minuten
Die US-Künstlerin Jenny Odell kritisiert, dass soziale Medien zu viel Aufmerksamkeit beanspruchen. Wie man dem entkommt, verrät sie in ihrem Buch "Nichts tun". Mit ihrem Ansatz will sie die Menschen wieder im realen Raum verwurzeln.
Wann ist jemand produktiv? Kommt drauf an, wen man fragt. Überstunden machen, erreichbar sein, sich selbst optimieren? Für Jenny Odell heißt produktiv sein, schlicht und ergreifend nichts zu tun!
Seit Langem hat die in San Francisco lebende Künstlerin den "Missbrauch unserer Aufmerksamkeit" durch Tech-Giganten wie Facebook, Twitter oder Apple satt.
Widerstand gegen die Ökonomisierung leisten
Jede Tätigkeit, die nicht kommerziell genutzt werden könne, sei in deren Logik wertlos. "Nichts tun" lautet deshalb der Gegenentwurf von Jenny Odell. Es ist nichts weniger als ein Weckruf, Widerstand zu leisten gegen den Imperativ der Aufmerksamkeitsökonomie mit ihrem ständigen Verfügbarkeitsanspruch.
Neu ist diese Forderung nicht. Doch anders als etwa der Internetkritiker Jaron Lanier, erwartet Jenny Odell nicht, dass man einfach mal seinen Account bei Facebook löscht. Ihr geht es um eine Änderung der eigenen Einstellung und um eine andere, emanzipierte Nutzung digitaler Technologien.
Die eigene Wahrnehmung neu verankern
"Nichts tun" bedeute zum einen, seine Wahrnehmung neu zu verankern – weg vom Smartphone, hin zu sich selbst und zum physischen Raum, in dem man ist. Kurz: hin zu allen Sinnen. Und zum Zweiten bedeute es, sich auf Dinge einzulassen, die zwar aus neoliberaler Sicht nicht produktiv, dafür aber sozial und ökologisch nachhaltig sind.
Doch inwiefern kann der Einzelne das wirklich umsetzen? Zu den Bedingungen, die Handeln ermöglichen, hat Jenny Odell, die in Stanford digitale Kunst lehrt, lange geforscht. Und so gibt sie zwar keine praktischen Tipps. Dafür startet sie aber einen äußerst lehrreichen und inspirierenden Ausflug in die Geschichte der Verweigerung.
Ausflug in die Geschichte der Verweigerung
Sie berichtet, wie sich Diogenes von Sinope über Gebräuche hinwegsetzte. Erzählt die Geschichte von "Bartleby, dem Schreiber", der Mitte des 19. Jahrhunderts seinen Vorgesetzten durch subversives Schweigen provozierte. Erwähnt die Streiks der Hafenarbeiter in San Francisco 1934. Und sie blickt auf die US-Kommunen-Bewegung der 1960er-Jahre.
Tausende Menschen zogen damals auf der Suche nach dem "guten Leben" aufs Land. Um dort aber nicht selten am Streit um Privilegien, Geschlechterrollen und der Unfähigkeit, sich zu organisieren, zu scheitern.
Ebenso wichtig: Die Schlüsse, die Jenny Odell daraus zieht. Die Erfahrungen der Kommunen etwa hätten sie gelehrt, dass man dem politischen Gefüge der Welt nicht entkommen kann. "Nehmt am Leben teil", mahnt sie deshalb. Sich von der Gesellschaft abzukehren, sei ein Fehler. Auch wenn sie einräumt, dass nicht jeder die Freiheit habe, "nichts zu tun".
Ein überzeugendes Plädoyer
Jenny Odells Buch ist ein überzeugendes Plädoyer, es zumindest zu versuchen – angesichts der Dringlichkeit von Klimakrise und sozialer Spaltung - und wenn es nur kleine Schritte sind.
Wie beglückend das sein kann, erzählt die Autorin auch. Nach der Trump-Wahl 2016 suchte sie immer wieder Trost in einem Garten, wo sie sich nach und nach zur Hobby-Ornithologin entwickelte und so zur Expertin für genaues Hinschauen – auch wenn das nicht "produktiv" ist.