50 Jahre Woodstock
Der aktuelle Stand zur 50. Festivalausgabe - unser Korrespondent Kai Clement berichtet aus New York:
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Das Bunte und den Terror zusammenbringen
10:13 Minuten
"Woodstock", Deutscher Herbst, Mondlandung: Der Kultur- und Musikjournalist Jens Balzer untersucht in einem neuen Buch die kulturellen Ereignisse der 1970er-Jahre. Damals seien viele scheinbar gegensätzliche Ereignisse gleichzeitig passiert, meint er.
Die 70er-Jahre waren ein Jahrzehnt voller gegensätzlicher Ereignisse: bunte Zukunftszugewandtheit traf auf apokalyptische Untergangsfantasien und Terrorismus. Der Kultur- und Musikjournalist Jens Balzer hat diese interessante Dekade für sein Buch "Das entfesselte Jahrzehnt - Sound und Geist der 70er" in all seinen Facetten auf sich wirken lassen.
1969 wurde Jens Balzer geboren. Er sieht dieses Jahr als den Startpunkt in die 70er, da sich gravierende Ereignissen häuften: Einerseits die Mondlandung, vier Wochen später feiern Hippies das erste "Woodstock Festival". In der Folge nehmen esoterische Praktiken und der Terrorismus zu, die antiautoritäre Erziehung wirft das Familienbild durcheinander, nicht zu vergessen die weibliche Emanzipation.
"Es ist eine sonderbare Mischung an extremer Euphorie, Utopiegläubigkeit, Zukunftszugewandheit und dann eben auch auf der anderen Seite das ganze Gegenteil: Apokalyptik, Enttäuschung und Erschlaffung." Für Balzer eine explosive Mischung, die das neue Jahrzehnt einläutet.
Massenbegeisterung und Ernüchterung
In beiden Fällen hatte man es mit riesigen Menschenmassen zu tun. "In beiden Fällen gibt es das Gefühl, dass die Menschheit auf dem großen Sprung in die Zukunft ist", sagt Balzer. Einerseits treffe hier die "Technik-Menschheit", die in das Weltall vordringt auf die "Hippie-Menschheit", die "Peace and Love" propagierte. Trotzdem verstünden sich, so Balzers Auffassung, alle als ein "interplanetarisches Kollektivsubjekt, als Zukunftsobjekt".
So startete, meint Balzer, das Jahrzehnt zukunftsorientiert. Aber die sogenannten "Manson-Morde" machten diese hellen Visionen schnell zu nichte. Charles Manson verübte damals mit seiner um sich gescharten "Family" kurz vor dem Woodstock-Festival mehrere Morde, die zunächst kaum Beachtung fanden. Erst als bekannte Personen zu Opfern wurden, dominierten diese Geschehnisse die Presse. "Der Hippie als Lichtgestalt ist innerhalb eines halben Jahres ruiniert", fasst Balzer zusammen. Auch das unglaublich teure Mondprogramm machte schnell klar, dass im nächsten Jahrzehnt das Sonnensystems zu durchschreiten sei.
Vermischung von Pop und Politik
Balzer deckt in einem seiner Kapitel die Verbindung der Westberliner Polit-Szene zum ehemals musikambitionierten Charles Manson auf. Darauf sei der Autor durch Zufall gestoßen, als er sich mit dem westdeutschen Terrorismus beschäftigte. Er fand er in der Biografie von Bommy Baumann, dem Begründer der linksradikalen, terroristischen "Bewegung 2. Juni", eine Passage, in der er sich zur Bewunderung von Charles Manson bekennt. Fotos belegen, dass Baumann den neu aufkommenden "Satans-Gruß" in Nachahmung Mansons zeigt.
Diese Fingersymbolik etablierte sich im Laufe der 70er-Jahre in der damaligen Metal-Szene im Zuge des sich verbreitenden "Glamour des Bösen und des Okkulten".
Balzer meint: "Das ist auch eine popkulturelle Strömung, die sonst bei den Historiografen der 70er Jahre immer unterschlagen wird. Entweder geht es da um die Politik oder aber über die Popkultur."
Das Jahrzehnt des Buttons
Balzer sieht in dem Jahrzehnt auch den Trend, des "Sich-Zeigens". Die Button-Kultur sei gewachsen: Jeder habe sich in dieser Zeit Anstecker gesucht, mit denen jeder Einzelne zeigen konnte: Das bin ich. "Einerseits will man individualisiert sein, man will anders sein, nur nicht so, wie es die Tradition nahelegt." Und so wurden damals die weißen Wände "vollgeklebt und markiert", wie Balzer berichtet. "Und auf der anderen Seite will man sich dann auch zu Gruppen, zu Stämmen zuordnen."
Und so kamen auch die RAF-Buttons auf, die eher eine popkulturelle Zuordnung erfuhren. Damals hätten die Menschen nicht genau auf die Ziele der RAF geschaut, so Balzer. "Viele sahen nur die eher unverbindliche, popkulturelle Heroes-Aura, die es darum gab."
Balzer wollte in seinem Buch die bekannten bunten Szenen mit dem dunklen Okkulten verbinden. "Der Versuch des Buches besteht darin, das Bunte und den Terror im Zusammenhang zu sehen", sagt Balzer.
Fußspuren der 70er
"In dem Moment, wo sich der PC durchsetzt und sich die ersten Computerspiele flächendeckend verbreiten, beginnt die Vorform der digitalen Kultur und der digitalen Vernetzung." Diese Entwicklung setzte Ende der 70er Jahre ein und präge, so Balzer, bis heute unser Leben - eine Art Fußspuren der 70er.
Die Fragmentierung in viele verschiedene Szenen erlaube es, eine eigene Identität zu schaffen sowie eine Vernetzung mit weit versprengten Menschen mit ähnlichen Ideen. "Und alles, was unter der Rubrik 'Identitätspolitik' eher abfällig beschrieben wird, stammt aus den 70er-Jahren, aus der Dialektik, man möchte etwas Besonderes sein, man will sich abgrenzen und gleichzeitig zu einer Gruppe gehören."
(cdr)
Jens Balzer: "Das entfesselte Jahrzehnt - Sound und Geist der 70er"
Rowohlt Berlin 2019
432 Seiten, 26 Euro