Jens Berger: "Schwarzbuch Corona. Zwischenbilanz der vermeidbaren Schäden und tolerierten Opfer"
Westend Verlag, Frankfurt am Main 2021
202 Seiten, 18 Euro
Vermeidbare Schäden
09:55 Minuten
Autor Jens Berger hat sich mehrfach mit ökonomischer Macht und Ungleichheit befasst. In seinem aktuellen Buch zieht er eine Corona-Zwischenbilanz. Er beklagt "vermeidbare Schäden und tolerierte Opfer". Im Gespräch erläutert er, was er damit meint.
Das Schwarzbuch des Bundes der Steuerzahler prangert seit jeher die Verschwendung von Steuergeldern an. Das Schwarzbuch des Journalisten und Autors Jens Berger nimmt sich die Coronapolitik vor. Aus seiner Sicht wiegen die indirekten Schäden durch "Kollateralschäden" schwerer als die Schäden, die das Virus selbst verursacht hat.
Nicht alle Menschen seien etwa in gleichem Maße von den Coronamaßnahmen betroffen gewesen. Die Sterblichkeit in ärmeren Regionen sei um 50 bis 70 Prozent höher gewesen als in wohlhabenden. Armut sei auch in der Coronakrise der "größte Risikofaktor" gewesen.
In ärmeren Bezirken griffen mitunter drastischere Maßnahmen
Auch das Risiko, unter drastischen Coronabeschränkungen zu leiden, sei unterschiedlich verteilt. Mit "Häuschen auf dem Lande mit großem Garten" spiele der Lockdown keine große Rolle, meint Berger. Zumal, wenn man den Job ins Homeoffice verlagern könne. "Im Plattenbau als alleinerziehende Mutter mit Kindern, die noch nicht zur Schule oder in die Kita gehen können, ist das noch eine ganz andere Belastung", so der Sachbuchautor.
Selbst die Coronamaßnahmen seien unterschiedlich angewandt worden. In Wohnbezirken, in denen ärmere Menschen leben, seien drastischere Maßnahmen angeordnet worden, berichtet Berger. Der Lockdown nach dem Coronaausbruch beim Fleischbetrieb Tönnies habe hauptsächlich Arbeiter aus Bulgarien und Rumänien betroffen. Die Verantwortlichen seien ziemlich schnell dabei gewesen, den ganzen Bezirk abzuriegeln, in dem die Arbeiter lebten.
"Wäre Politik in privilegierteren Vierteln ebenso schnell dabei?", fragt Jens Berger.
Kleine Betriebe leiden mehr unter den Maßnahmen
Auch bei der Abwägung zwischen Epidemiologie und Ökonomie sei bei "Großen" ganz anders gewichtet worden als bei kleinen Betrieben, man habe ganz andere Kollateralschäden billigend in Kauf genommen. Sie hätten besonders Einzelhandel, Gastronomie und alle getroffen, die mit Veranstaltungen zu tun haben.
Es habe zwar – wenngleich ziemlich spät – Hilfsgelder vom Staat gegeben. Diese hätten aber nur die Fixkosten aufgefangen, bei Kleinunternehmen also vor allem Kreditkosten und die Kosten für Mieten. "Gewerbetreibende mussten eigenes Geld zuschießen", sagt Berger, sie stünden jetzt wesentlich schlechter da.
Das habe Konsequenzen für uns alle. Denn Gastronomie sei wichtig: "Städte leben vom Lokalkolorit", sagt Autor Berger, und Lokalkolorit sei in Gastronomie und Einzelhandel vor allem von Familienunternehmen und mittelständischen Unternehmen geprägt. Den Franchiseketten gehe es derweil gut, der Lokalkolorit gehe jedoch verloren.
"75 Prozent aller Gastronomiebetriebe in Frankfurt haben bei einer Umfrage angegeben, dass sie durch Lockdown-Maßnahmen vor dem Ende stehen und mittel- bis langfristig überlegen, ihren Betrieb aufzugeben", erzählt Berger.
Die erhofften Veränderungen stehen noch aus
Corona sei ein Brennglas, das Probleme aufgezeigt habe, die ohnehin schon da waren: "Corona hat uns diese Probleme noch mal mehr bewusst gemacht."
Von der Politik sei er indes enttäuscht. "Ich bin fest davon ausgegangen, dass Corona ein Gamechanger ist und Probleme jetzt, da sie so offensichtlich auf dem Tisch liegen, auch mal angefasst werden", sagt er. Doch das sei eine Täuschung und Selbsttäuschung gewesen, "da fast alles komplett folgenlos" geblieben sei.
(ros)