Jens Jessen über Kleidung bei Hitze

"Eine Frage der Selbstachtung"

07:02 Minuten
Jens Jessen sitzt im Studio und schaut in die Kamera.
Jens Jessen im Studio von Deutschlandfunk Kultur © Deutschlandradio / Matthias Horn
Moderation Korbinian Frenzel |
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Wie leger darf es sein am Arbeitsplatz, wenn das Thermometer über 30 Grad klettert? "Zeit"-Redakteur Jens Jessen beharrt auf normalem Büro-Outfit: "Wenn ich mich so anziehe wie am Strand, dann arbeite ich nicht mehr anständig und habe dazu auch keine Lust mehr."
Flip-Flops und Shorts statt Anzug und Schlips: Das mag bei der Hitze bequem sein. Aber schickt sich das am Arbeitsplatz, mag es noch so heiß sein?
Unser Moderator Korbinian Frenzel hat es ausprobiert und sich in Feinripp und Flip-Flops vors Mikrofon gesetzt. Um prompt von Studiogast Jens Jessen zurechtgewiesen zu werden: "Sind Sie in diesem Zustand überhaupt noch arbeitsfähig?!" Der "Zeit"-Redakteur war trotz großer Hitze in Hemd und Anzug erschienen. "Ich selber brauche so ein gewisses Maß an ordentlicher oder für mich normaler Kleidung, um arbeitsfähig zu bleiben und auch arbeitswillig", erklärte er. "Ich muss mir das verordnen und sagen: Hier, das ist jetzt Dienst, und ich bin nicht am Strand! Wenn ich mich so anziehe wie am Strand, dann arbeite ich nicht mehr anständig und habe dazu auch keine Lust mehr."
Korbinian Frenzel sitzt an einem heißen Sommertag mit Unterhemd bekleidet im Studio.
Unübliche Arbeitskleidung: Moderator Korbinian Frenzel testet die Grenze der Toleranz seines Gastes Jens Jessen.© Deutschlandradio / Matthias Horn
Vor einigen Jahren hat Jessen seine Auffassung zur angemessener Kleidung bei Hitze in einem Artikel für die "Zeit" zusammengefasst: keine Sandalen, keine ärmellosen Shirts, vor allem nicht bei unrasierten (weiblichen) Achselhöhlen, keine Schweißflecken. Nicht alles davon würde er heute noch einmal so schreiben:
"Man kann fast alles so ins Ordentliche und ästhetisch Erfreuliche umwandeln", erklärt er. "Das Problem entsteht, wenn man denkt, bestimmte Wetter- und Temperaturlagen erlauben, sich sozusagen einfach gehen zu lasen, fallen zu lassen, sich dem auszuliefern und so eigentümlich willenlos zu erscheinen. Ich glaube, das ist der tiefe Grund, warum das ästhetisch empfindlichere Menschen aufstößt, weil es wirkt wie eine Kapitulation. Ein Mangel eigentlich an natürlichem Stolz und Selbstbewusstsein."

Rasierte Achseln ein Zeichen von Selbstachtung?

Hart bleibt Jessen in der Frage der rasierten weiblichen Achselhöhlen und Beine: "Auf jeden Fall ist auch das ein Zeichen von Selbstachtung und Selbstbewusstsein." Dass Nicht-Rasieren ein feministischer Akt sei, bestreitet er. "Das wäre eine Debatte aus dem Hippie-Jahrzehnt der 70er oder späten 60er, wo man sagte: Das ist eben Unterwerfung der Frau unter männliche Blickweisen oder unter bürgerliche Unterdrückungsgewohnheiten. Ich halte das für Unfug."
Für ihn habe diese Frage auch nicht in erster Linie mit Attraktivität zu tun: "Es ist wirklich eine Frage der Selbstachtung, ob man eben sein Äußeres so ein bisschen steuert."
(uko)

Jens Jessen ist Redakteur der Wochenzeitung "Die Zeit" im Feuilleton, das er von 2000 bis 2014 auch leitete. Zuvor war er Feuilletonchef bei der "Berliner Zeitung" und Redakteur im Feuilleton der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Begonnen hatte der Autor und Publizist seine Laufbahn von 1984 bis 1988 als Verlagslektor in Stuttgart und Zürich. 2012 erschien im Carl Hanser Verlag Jessens Roman "Im falschen Bett".

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