Jenseits von Gondeln, Dogen und Markuslöwen
Predrag Matvejević erforscht in seinem Buch die unscheinbaren Seiten Venedigs. Anstelle der Ölfarben von alten Meistern nimmt er sich die Farben des Rostes an Toren und Gittern vor, analysiert die spielerischen Übergänge zwischen Rost und Patina, die einmal auch einen Tizian beeinflusst haben.
Es ist nicht einfach, an einer Stadt, die schon so oft besprochen, beschrieben und dargestellt wurde, etwas Neues zu entdecken. Schließlich wurde das wirkliche Venedig – bemerkt der italienische Autor Raffaele La Capria im Vorwort zu diesem Buch - vollkommen von dem Bild überdeckt, das man sich von ihm macht. So bedarf es einer Art Archäologie, um unter den Schichten der verschiedenen geläufigen Darstellungen die Bruchstücke jenes wirklichen und also ursprünglichen Venedigs auszugraben.
Diesen Blick des Archäologen macht sich der Schriftsteller und Philologe Predrag Matvejević in seinem Essay "Das andere Venedig" zu eigen, der jetzt auf deutsch im Wieser Verlag erschienen ist.
Matvejević erforscht jenseits von Gondeln, Dogen und Markuslöwen die auf den ersten Blick unscheinbaren Seiten der Stadt, macht seine Funde im Schatten des Mondänen. Anstelle der Ölfarben von alten Meistern nimmt er sich die Farben des Rostes an Toren und Gittern vor, analysiert die spielerischen Übergänge zwischen Rost und Patina, die irgendwann einmal auch einen Tizian beeinflusst haben. Oder er widmet sich der Vielfalt und Farben der Gräser und Pflanzen, die für ihn das Dauerhafte, das Unveränderliche einer Stadt verkörpern, in der das Holz fault, der Stein modert und der Wasserspiegel bedrohlich steigt.
Matvejević sammelt mit Vorliebe Geschichten aus dem Alltag. Auch berühmte Besucher wie Goethe und Rilke haben ihren Platz in diesem Venedig-Buch, doch wirken ihre Betrachtungen beinah schon blass gegen das, was wir aus kaum bekannten einheimischen Quellen über Barbierstuben und Wirtshäuser erfahren.
Selbst die Musik eines Vivaldi oder Albinoni verbinden sich hier mit dem Klang, den die Schritte über eine Brücke in Venedig erzeugen können, unterschiedlich, je nach Tageszeit. Alte Macht und klassische Pracht, sofern denn davon die Rede ist, erscheinen im engen Beziehungsgeflecht zwischen West und Ost, zwischen Rom und Byzanz, wobei auch die Rolle der Slawen beim Aufstieg Venedigs, oft übergangen, ihren Platz findet.
Predrag Matvejević wurde 1932 als Sohn einer Kroatin und eines Ukrainers im herzegowinischen Mostar geboren. 1991, kurz vor Ausbruch des Bosnienkriegs verließ er sein Land, habilitierte an der Sorbonne und lehrt seit 1994 in Rom. Gegen den Nationalismus in verschiedenen Teilen seiner Heimat hat er sich immer wieder gewandt.
Das brachte ihm, der auch als einer der Vizepräsidenten des internationalen PEN amtiert, eine Verurteilung zu fünf Monaten Haft ein - wegen angeblicher Verleumdung eines kroatischen Schriftstellers. Gegen diese groteske Entscheidung eines Zagreber Gerichts empörte sich seinerzeit sogar der kroatische Ministerpräsident Sanader.
Predrag Matvejević hat sich mit seinen wissenschaftlichen und literarischen Arbeiten den Ruf eines grenzüberschreitenden Chronisten des Mittelmeerraums erworben. Diesem Ruf wird er auch in seinem spannenden und feinsinnigen Essay über "Das andere Venedig" gerecht.
Rezensiert von Martin Sander
Predrag Matvejević: Das andere Venedig
Aus dem Kroatischen von Alida Bremer.
Wieser Verlag, Klagenfurt 2007, 162 Seiten, 18.80 Euro
Diesen Blick des Archäologen macht sich der Schriftsteller und Philologe Predrag Matvejević in seinem Essay "Das andere Venedig" zu eigen, der jetzt auf deutsch im Wieser Verlag erschienen ist.
Matvejević erforscht jenseits von Gondeln, Dogen und Markuslöwen die auf den ersten Blick unscheinbaren Seiten der Stadt, macht seine Funde im Schatten des Mondänen. Anstelle der Ölfarben von alten Meistern nimmt er sich die Farben des Rostes an Toren und Gittern vor, analysiert die spielerischen Übergänge zwischen Rost und Patina, die irgendwann einmal auch einen Tizian beeinflusst haben. Oder er widmet sich der Vielfalt und Farben der Gräser und Pflanzen, die für ihn das Dauerhafte, das Unveränderliche einer Stadt verkörpern, in der das Holz fault, der Stein modert und der Wasserspiegel bedrohlich steigt.
Matvejević sammelt mit Vorliebe Geschichten aus dem Alltag. Auch berühmte Besucher wie Goethe und Rilke haben ihren Platz in diesem Venedig-Buch, doch wirken ihre Betrachtungen beinah schon blass gegen das, was wir aus kaum bekannten einheimischen Quellen über Barbierstuben und Wirtshäuser erfahren.
Selbst die Musik eines Vivaldi oder Albinoni verbinden sich hier mit dem Klang, den die Schritte über eine Brücke in Venedig erzeugen können, unterschiedlich, je nach Tageszeit. Alte Macht und klassische Pracht, sofern denn davon die Rede ist, erscheinen im engen Beziehungsgeflecht zwischen West und Ost, zwischen Rom und Byzanz, wobei auch die Rolle der Slawen beim Aufstieg Venedigs, oft übergangen, ihren Platz findet.
Predrag Matvejević wurde 1932 als Sohn einer Kroatin und eines Ukrainers im herzegowinischen Mostar geboren. 1991, kurz vor Ausbruch des Bosnienkriegs verließ er sein Land, habilitierte an der Sorbonne und lehrt seit 1994 in Rom. Gegen den Nationalismus in verschiedenen Teilen seiner Heimat hat er sich immer wieder gewandt.
Das brachte ihm, der auch als einer der Vizepräsidenten des internationalen PEN amtiert, eine Verurteilung zu fünf Monaten Haft ein - wegen angeblicher Verleumdung eines kroatischen Schriftstellers. Gegen diese groteske Entscheidung eines Zagreber Gerichts empörte sich seinerzeit sogar der kroatische Ministerpräsident Sanader.
Predrag Matvejević hat sich mit seinen wissenschaftlichen und literarischen Arbeiten den Ruf eines grenzüberschreitenden Chronisten des Mittelmeerraums erworben. Diesem Ruf wird er auch in seinem spannenden und feinsinnigen Essay über "Das andere Venedig" gerecht.
Rezensiert von Martin Sander
Predrag Matvejević: Das andere Venedig
Aus dem Kroatischen von Alida Bremer.
Wieser Verlag, Klagenfurt 2007, 162 Seiten, 18.80 Euro