Jérôme Ferrari: "Ein Gott ein Tier"
Aus dem Französischen von Christian Ruzicska
Secession Verlag für Literatur, Zürich 2017
110 Seiten, 20,00 Euro
Menschen, die sich im Leben verlieren
Jérôme Ferraris Roman "Ein Gott ein Tier" stellt Fragen nach den Verwüstungen, die die Konflikte unserer Epoche in unseren Persönlichkeiten hinterlassen. Ein gelungenes Buch - nur der pathetische Ton ist manchmal etwas gewöhnungsbedürftig.
Jérôme Ferrari zählt spätestens seit 2012, als er den Prix Goncourt bekam, zu den einflussreichsten französischen Schriftstellern. In der "Predigt auf den Untergang Roms" hat er die unbewältigte Vergangenheit des Algerienkriegs zum Thema gemacht. Mit "Das Prinzip" hat er zuletzt einen philosophischen Roman über den deutschen Physiker Werner Heisenberg geschrieben. Jetzt ist auf Deutsch "Ein Gott ein Tier" herausgekommen; der Band ist im Original bereits 2009 erschienen.
"Ein Gott ein Tier" zeigt zwei Menschen, die sich im Leben verlieren. Der Roman spielt in den Jahren nach dem Terroranschlag des 11. September 2001, der allgemein als epochale Zäsur verstanden wurde. Ein junger Franzose verdingt sich als Söldner in den Truppen, die im Irak und angrenzenden Gebieten kämpfen. Gezeichnet von brutalen Kriegsererlebnissen, findet er nach seiner Rückkehr in Frankreich keinen Halt mehr. Schließlich erschießt er sich im Wald in der Nähe seines Heimatdorfs.
Seine Versuche, in sein früheres Leben zurückzukehren, sind vergeblich. Die Wieder-Annäherung an seine einstige Jugendliebe Magali scheitert daran, dass er sich von den erlittenen Kriegstraumata nicht befreien kann.
Ein neo-existentialistischer Roman
Die Hoffnung, die in der Liebe liegen könnte, wird enttäuscht. Auch Magali beschäftigt sich in gewisser Weise mit der Jagd auf Menschen, auch sie ist eine Art Söldnerin, nämlich Personalberaterin, "Headhunterin"; in ihrer Firma steht der Wahlspruch "life is competition" an der Wand.
Das Buch stellt Fragen nach den Verheerungen, die die Konflikte unserer Epoche in unseren Persönlichkeiten anrichten. Die Verlorenheit zweier Menschen zwischen militärischem Krieg und den alltäglichen Konkurrenzkämpfen im neoliberalen Kapitalismus. "Ein Gott ein Tier" ist ein "innerliches" Buch, ein existentialistischer - oder besser: neo-existentialistischer - Roman.
Das drückt sich auch in Ferraris Sprache aus, die die Seelenlandschaften seiner Figuren gründlich auszuleuchten versucht: "Sie fragt sich, (...) in welchem Moment du wirklich du selbst warst, ( ...) und sie fürchtet, dass du niemals du selbst gewesen bist, denn jeder Mensch ist ein Abgrund und ruht im tiefen Grund seiner selbst". Dieser stellenweise etwas pathetische Ton ist gewöhnungsbedürftig.
Doch das Buch stellt aus dieser Innenperspektive heraus ganz aktuelle Fragen. Die psychischen Verwundungen durch Kriegserlebnisse verweisen auf militärische Einsätze Frankreichs und vor allem auf die unzureichende Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit - ein Thema, das sich nicht nur durch Jérôme Ferraris gesamtes Werk zieht, sondern das auch im derzeitigen Präsidentschaftswahlkampf ganz unerwartet eine Rolle spielt.