Jerusalem

Stadtviertel abriegeln ist keine Lösung

Israelische Polizei kontrolliert am 14. Oktober 2015 einen palästinensischen Wagen in Ost-Jerusalem.
Israelische Polizei kontrolliert am 14. Oktober 2015 einen palästinensischen Wagen in Ost-Jerusalem. © dpa / picture alliance / Atef Safadi
Von Torsten Teichmann |
Israels Ministerpräsident Netanjahu sei es gelungen, die Klage über den Terror vom eigenen Versagen zu entkoppeln, meint Torsten Teichmann. Sein Aktionismus lenke aber nicht von der zentralen Frage ab: Wann können die Palästinenser wieder Hoffnung schöpfen?
Mit dem Einsatz der Armee und der Abrieglung ganzer Stadteile im besetzten Ost-Jerusalem will Israels Regierungschef Netanjahu Attentäter stoppen. In den vergangenen zwei Wochen sind acht Menschen von Palästinensern getötet worden. Die Lage ist unhaltbar. Niemand darf gezwungen werden, in Angst zu leben. Und die israelische Regierung trägt Verantwortung für die Sicherheit in Jerusalem. Doch allein mit einer Ausgangssperre für Palästinenser wird sie dieser Aufgabe nicht gerecht.
Selbst wenn es kurzfristig gelingt, durch Checkpoints in Jerusalem einige Attentäter zu stoppen, bleiben die Ursachen des Konflikts doch bestehen.
Aber die israelische Regierung scheint sogar bereit, im Namen der Sicherheit die Lage noch zu verschärfen: Die Abriegelung palästinensischer Stadtteile ist eine Kollektivstrafe, die alle Bewohner trifft. Palästinenser erleben die Kontrollen als Willkür der Besatzungsmacht Israel. Sie fühlen sich in ihrer Ablehnung und auch ihrem Hass bestätigt. Und: Welchen Sinn macht es, die Leichen von Attentätern zurückzuhalten? Und sie nicht an die Familie zu überführen?
Die Entscheidungen des Sicherheitskabinetts werfen Fragen auf. Aber der Aktionismus ist zwingend, damit sich Regierungschef Netanjahu nicht einem zentralen Widerspruch seiner Politik stellen muss.
Denn der Regierungschef erklärt sehr gern, dass es im Nahost-Konflikt sein Ziel ist, einen bi-nationalen Staat Israel zu verhindern, in dem Palästinenser und Israelis zusammenleben. An anderer Stelle brüstet er sich damit, die Zwei Staaten-Lösung verhindert zu haben. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn Netanjahu vor Anhängern erklärt, dass die Zahl der jüdischen Siedler auf palästinensischem Gebiet in seiner Regierungszeit stark gestiegen ist.
Hinter Mauern und Zäunen
Also kein souveräner palästinensischer Staat, aber auch keine Integration von Millionen Palästinensern in die israelische Gesellschaft? Wie soll das denn gehen? Das Ergebnis dieses politischen Versagens ist Gewalt. Der Status quo, an den sich Netanjahu klammert, ist nicht zu halten ohne die Gefahr von Gewalt. Und selbst wenn in Israels Städten wieder Ruhe einzieht, wie es die Regierung verspricht, sind tausende Palästinenser auf besetztem Gebiet weiterhin täglich Gewalt ausgeliefert, wie Hausdurchsuchungen, mangelnder Bewegungsfreiheit, Festnahmen und Übergriffen durch Soldaten. Nur dass es dann hinter Mauern und Zäunen weniger Menschen wahrnehmen.
Netanjahu ist es gelungen, die Klage über palästinensischen Terror vom eigenen politischen Versagen zu entkoppeln. Und deshalb sind immer die anderen Schuld: Der palästinensische Präsident Abbas hetze junge Palästinenser auf. Die internationale Gemeinschaft ermutige mit ihrem Schweigen die Attentäter. Und die Islamische Bewegung in Israel soll wegen Aufwiegelung jetzt verboten werden.
Das alles können Faktoren sein, die zur gegenwärtigen Eskalation beigetragen haben. Aber sie können nicht von der Tatsache ablenken, dass Israels Bevölkerung langfristig nur in Sicherheit leben kann, wenn auch die Palästinenser für ihr Leben wieder Hoffnung schöpfen können. Mit dem Einsatz der Armee und der Abriegelung ganzer Stadtviertel in Jerusalem erreicht Netanjahu das Gegenteil.
Mehr zum Thema