Jerusalemer Erklärung

Antisemitismus neu definiert

06:52 Minuten
Eine Teilnehmerin einer Kundgebung hält eine Schild mit dem Text "Antisemitismus Anklagen vor Gericht und überall" vor dem Strafjustizgebäude in Hamburg
Prozessauftakt nach dem Angriff auf einen jüdischen Studenten in Hamburg im Februar: Antisemitismus bekämpfen geht am besten, wenn klar ist: Was genau bedeutet der Begriff? © picture alliance/dpa | Christian Charisius
Micha Brumlik im Gespräch mit Axel Rahmlow |
Audio herunterladen
Mit der Jerusalemer Erklärung haben 200 Wissenschaftler eine neue Antisemitismus-Definition vorgelegt. Anders als der Deutsche Bundestag kommen sie darin zu dem Schluss: Die BDS-Initiative sei nicht per se antisemitisch.
Was ist Antisemitismus? Um diese Definition gibt es seit langem Streit zwischen Aktivisten und Forschern aus allen Teilen der Welt. Mit der "Jerusalemer Erklärung" haben 200 Holocaustforscher, Wissenschaftler und Publizisten jetzt eine neue Definition des Begriffs vorgelegt. (*)

Judenhass oder faktenbasierte Kritik an Israel

Darin wird Antisemitismus als "Diskriminierung, Vorurteil, Feindseligkeit oder Gewalt gegen Jüdinnen und Juden als Jüdinnen und Juden (oder jüdische Institutionen als jüdische)" bestimmt. In 15 Leitlinien wird dies detaillierter definiert: Jüdinnen und Juden kollektiv für das Verhalten Israels verantwortlich zu machen und sie, bloß weil sie jüdisch sind, als Agenten Israels zu behandeln, sei antisemitisch, heißt es dort beispielsweise.
Nicht antisemitisch sei dagegen faktenbasierte Kritik an Israel als Staat oder der Hinweis auf systematische, rassistische Diskriminierung im Umgang mit den Palästinensern. Auch die Initiative "Boycott, Divestment and Sanctions" (BDS) sei nicht per se antisemitisch.

Haltung zu BDS

Michael Brumlik, Seniorprofessor am Selma Stern Zentrum für jüdische Studien Berlin-Brandenburg, hat die "Jerusalemer Erklärung" unterzeichnet. "Jetzt ist klarer, dass BDS, also eine Organisation, die vom Deutschen Bundestag im Mai 2019 pauschal für antisemitisch erklärt wurde, dieses nicht ist", sagt er. Die Forscherinnen und Forscher, zumal aus Israel und den USA, die sich teilweise seit Jahrzehnten mit dem Holocaust und Judenhass beschäftigten, wüssten dies besser einzuschätzen als Parlamentarier.
Diese Beurteilung der BDS-Initiative sei aber nicht gleichbedeutend damit, die Bewegung für richtig zu halten. "Ich persönlich finde BDS politisch falsch", betont Brumlik. "Ich halte es für einen schweren Fehler, dass BDS auch solche israelischen Wissenschaftler, Wissenschaftlerinnen, Intellektuelle und Künstler boykottiert, die sogar gegen die Besetzung des Westjordanlands sind."
Die Ausdifferenzierung der Antisemitismus-Definition sei wichtig, damit der reale Judenhass und Rassismus nicht aus der politischen Diskussion verschwinde, so Brumlik: Die deutsche Politik äußere sich eher zu BDS als zu den Attentaten von Halle und Hanau.
(*) Redaktioneller Hinweis: Wir haben die berufliche Zuordnung der Unterzeichnerinnen und Unterzeichner konkretisiert.
(jfr)
Mehr zum Thema