Jessa Crispin: "Warum ich keine Feministin bin"

Weckruf einer radikalen Feministin

"Warum ich keine Feministin bin" von Jessa Crispin
Bissig und oft witzig kritisiert Jessa Crispin den heute üblichen Feminismus. © Suhrkamp Verlag/picture alliance/dpa/Foto: Sachelle Babbar
Von Catherine Newmark |
50 Jahre nach dem Frauen ihre BHs verbrannt haben, fordert die US-Amerikanerin Jessa Crispin in "Warum ich keine Feministin bin" eine neue, alte Radikalität. Allzu harmlosen Feministinnen und etlichen Männern zeigt sie mit ihrem Manifest den Mittelfinger.
Antifeminismus liegt wieder einmal im Trend. Gerade in Zeiten der politischen Polarisierung ist er nicht schwer zu finden. Längst nicht mehr nur am rechtesten Rand hört und liest man, dass Feministinnen hysterische Tugendfurien seien und dass es der Feminismus längst viel zu weit getrieben habe mit seinen Forderungen. Unmöglich könne sich eine vernünftige Person "Feministin" nennen.

Radikalität und Feminismus

Der Essay der US-amerikanischen Journalistin Jessa Crispin zeigt solchen Haltungen beherzt den Mittelfinger: Ihrem für solche Kreise erst mal vielversprechenden Titel "Warum ich keine Feministin bin" hat sie gleich noch als Unterzeile "Ein feministisches Manifest" beigefügt. Ihre Haltung begründet sie genau umgekehrt: Den Feminismus kritisiert sie nicht, weil er es zu weit getrieben hat – sondern weil er es ihrer Meinung nach längst nicht weit genug getrieben hat.
Bissig und oft witzig kritisiert Crispin den heute üblichen Feminismus. Früher sei Feminismus ein radikales, alles und jedes in Frage stellendes Projekt gewesen, also eine Kritik des gesamten "patriarchalen Systems" inklusive der Rolle von Frauen innerhalb dieses Systems.
Heute sei diese Radikalität zu einem kuscheligen "Universalfeminismus" verkommen – so harmlos, dass sich alle mit ihm identifizieren könnten. Popstars und andere Promis schmücken sich dieser Tage gerne mit überteuerten (und selbstverständlich trotzdem von ausgebeuteten Frauenhänden hergestellten) T-Shirts, auf denen "I am a feminist" prangt, und alle applaudieren – als sei damit irgendetwas gewonnen.

Mehr Fragen als Antworten

Der Feminismus, ätzt Crispin, habe in seinem Bemühen um eine möglichst breite Akzeptanz fast das ganze genuin gesellschaftskritische Potenzial verloren. Es gehe Frauen, die sich heutzutage en masse als Feministinnen bezeichneten, vor allem um "Selbstermächtigung". Oder schnöder: um möglichst viel Teilhabe an der Macht; um mehr privilegierte Frauen in mehr privilegierten Positionen der Arbeitswelt und der Politik. Das ist Crispins Sicht auf den gegenwärtigen Feminismus, die nicht sehr differenziert daherkommt (und die Gegnerschaft wahrscheinlich aus guten Gründen jenseits der popkulturellen und massenmedialen Phänomene unbenannt lässt).
Was Crispin dem entgegenstellt – die Überzeugung "das System" (sei es "patriarchal" oder "kapitalistisch") müsse in Gänze bekämpft werden und das Ideal eines Feminismus, der unermüdlich an einer grundlegend besseren Welt oder gleich am Weltfrieden arbeitet – wirkt über weite Strecken unausgegoren und naiv und oft sogar widersprüchlich. Aber auch ziemlich ehrlich: An einer Stelle schreibt Crispin, ziemlich zutreffend, sie habe "mehr Fragen als Antworten" – und man nickt unwillkürlich.

Wild, inkohärent, anregend

Die Stärke des Buches liegt woanders, vornehmlich in Crispins Angriffen auf die Exzesse der heutigen Empörungskultur. Sie geht so weit, von einer Kultur der Rache zu sprechen, die sich etwa in Schwarmkritik in den sozialen Netzwerken äußert; sie kritisiert ein Freund-Feind-Denken und eine gesellschaftsfähig gewordene pauschale Abwertung von Männern und Männlichkeit (die um keinen Deut besser sei als die ehemalige pauschale Abwertung von Frauen). Und sie kritisiert die Bequemlichkeit derjenigen, die es sich in einer Opferrolle selbstgerecht eingerichtet haben und nun darauf verzichten, sich selbst zu hinterfragen.
Das könnte an einigen Stellen fast wie aus dem Playbook der antifeministischen Maskulisten-Szene wirkt (Crispin nutzt einmal sogar die typische reaktionäre Floskel vom "Hass auf das ganze männliche Geschlecht"). Doch diesen Eindruck unterläuft Crispins immer wieder glaubhaft durch ein klares Bekenntnis zu einem Feminismus, der radikaler mit der Benachteiligung von Frauen bricht, als alle "Girl-Power" zusammen. Und durch ein prima kleines Kapitel, in dem sie ihren geballten feministisch-selbstkritischen Gedankenflow kurz unterbricht, und sich direkt an diejenigen Männer richtet, die sie möglicherweise in diese Richtung zu vereinnahmen wünschen: "Kümmern Sie sich endlich selbst um Ihren Scheiß."
Crispins Botschaft richtet sich eindeutig an Frauen, an solche, die sich als Feministinnen verstehen. Und ihre ganz und gar nicht falschen Fragen sind in immer neuen Varianten: Macht ihr es euch nicht oft zu bequem in eurem Selbstverständnis und in euren Forderungen? Unterscheidet ihr noch genug zwischen den Kämpfen, die ihr schon fast gewonnen habt und denjenigen, die es sich noch richtig zu kämpfen lohnt? Und vor allem: was für einen Feminismus wollt ihr, mithin was für eine Welt?
Jessa Crispin hat ein wildes, ein inkohärentes, ein anregendes Buch geschrieben.

Jessa Crispin: "Warum ich keine Feministin bin. Ein feministisches Manifest"
Übersetzung, Conny Lösch
Suhrkamp Verlag, 2018
145 Seiten, 12,95 Euro

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