Jessica Bruder: "Nomaden der Arbeit"

Als Workcamperin durch die USA

06:08 Minuten
Cover des Buchs "Nomaden der Arbeit" von Jessica Bruder
Die Reporterin Jessica Bruder hat drei Jahre lang als Arbeitsnomadin gelebt. © Blessing Verlag
Von Katharina Teutsch · 04.07.2019
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Jessica Bruder war drei Jahre als Arbeitsnomadin in den USA unterwegs, hat als Erntehelferin, bei Amazon oder in Vergnügungsparks gearbeitet, im Van gelebt. In "Nomaden der Arbeit“ schildert sie ein Leben, das zum Überlebenskampf geworden ist.
Sie arbeiten in Vergnügungsparks, in Zuckerrübenfabriken, als Erntehelfer, als Campingplatzhost oder in den kafkaesken Warenlagern von Amazon, wo sie auch Amazombis genannt werden.
Die amerikanische Reporterin Jessica Bruder war drei Jahre lang unter Workcampern unterwegs. 15.000 Meilen einmal quer durchs Land von Mexiko bis Kanada, von Küste zu Küste. Zunächst nur besuchsweise, dann kaufte sie sich selbst einen Van, nannte ihn nach der Rockband "Van Halen" und mischte sich unter die neue Nomadenklasse der Mittelschicht.
"Wenn ich mich im Halen aufhielt, war meine Adresse überall und nirgends. Ich schlief an Truck Shops, auf Walmart-Parkplätzen, vor einem Casino namens 'Whiskey Pete’s', an einer verlassenen Tankstelle, in öden Wüstengegenden, in der Bergwildnis und auf Vorstadtstraßen. Wohngebiete waren am schlimmsten, weil neugierige Anwohner schnell Probleme machen."
Als Jessica Bruder eines morgens nach einer Nacht in Mission Viejo vom Lärm eines elektrischen Heckenschneiders geweckt wird, liegt sie so lange reglos in ihrem Bett, bis der Landschaftspfleger weg ist. Erst dann traut sie sich, einen Blick aus dem Autofenster zu werfen. Die Luft ist rein.

In der Welt der Workcamper

In den meisten Bundesstaaten ist es nicht erlaubt, in einem Auto zu wohnen und es irgendwo zwischen parkende PKW zu stellen. Einige große Einkaufsketten wie Walmart haben allerdings ein Herz für die neuen Arbeitsnomaden und heißen sie auf den Kundenparkplätzen willkommen.
Inzwischen sind es Zehntausende, die schwer getroffen von dem Credit Crunch des Jahres 2008 auf Amerikas Straßen leben. Houseless, aber nicht homeless, wie sie betonen! Denn Obdachlosigkeit gilt in den USA als sicheres Indiz einer gescheiterten Existenz. Und gescheitert fühlen sie sich nicht. Eher betrogen.
Private Rentenpläne waren perdu, Häuser kamen unter den Hammer, Jobs platzten. Überhaupt, so zitiert Jessica Bruder in ihrem Buch eine amerikanische Ökonomin, sei wohl die Hälfte der Arbeiterschaft inzwischen von Altersarmut betroffen. So auch Linda, die Hauptperson dieser Langreportage.
2013 beschloss Linda, die enge Familienwohnung ihrer Tochter zu verlassen und in einen Camper zu ziehen, den sie bei Craigslist gefunden hatte. Ihr erster Job führte sie in den "Yosemite National Park", wo sie als Campinghost unter anderem die Feuerplätze unbedachter Touristen zu löschen hatte.

Altersarmut und Obdachlosigkeit

Später schließt sich Linda der Camper-Force der Amazon-Gruppe an. Der Konzern hat begriffen, dass es praktisch ist, sich nicht verantwortlich fühlen zu müssen für die Unterbringung seiner Saisonarbeiter. Und Amazon hat auch ein großes Herz für ältere Menschen. Nicht wenige sind in ihren Siebzigern, so wie Chuck Stout, der jeden Tag dreizehn Meilen zwischen den vollgestopften Warenregalen von Amazon herumrennt.
Dass der Onlinehandel so gerne auf Rentner setzt, liegt daran, dass der Staat bei Einstellung Steuererleichterungen gewährt. Denn die älteren Herrschaften fallen für ein paar Monate aus den staatlichen Sicherungssystemen.
Jessica Bruder gibt in ihrem Buch "Nomaden der Arbeit" Einblicke in eine Gesellschaft, die durch die Digitalisierung, die Finanzkrisen und grassierenden Mietpreiswucher tief verwundet ist. Sie erzählt von persönlichen Schicksalsschlägen und gesellschaftlichen Transformationen. Aber auch von unverhofften Freundschaften, Solidarität und Abenteuerlust.
Am Ende des Buchs steht ein Stück Land mitten in der Wüste von Arizona. Linda hat es von ihrem Ersparten erworben und träumt nun davon, darauf ein energieautarkes Haus aus alten Autoreifen zu bauen.

Jessica Bruder: "Nomaden der Arbeit. Überleben in den USA im 21. Jahrhundert"
Aus dem Amerikanischen von Teja Schwaner und Iris Hansen
Blessing Verlag, München 2019
383 Seiten, 22 Euro

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