Jessica Hausner über ihren Film "Little Joe"

"Ich denke, Horrorfilme sind eine Art Therapie"

09:00 Minuten
Die Genetikerin Alice (Emily Beecham) mit Mundschutz im Labor, umgeben von roten Blumen.
Emily Beecham spielt in "Little Joe" die Genetikerin Alice. Die alleinerziehende Forscherin kämpft auch mit ihrer Rolle als Mutter. © COOP99, The Bureau, Essential Films
Jessica Hausner im Gespräch mit Patrik Wellinski  · 04.01.2020
Audio herunterladen
Jessica Hausner lässt in "Little Joe" eine Forscherin eine Pflanze entwickeln, die ein Hormon ausstößt, das Menschen glücklich macht. Die Filmemacherin sagt, Glück habe viel mit Verdrängung zu tun. Je mehr Verdrängung es gebe, desto stärker seien die Monster.
Patrick Wellinski: Alice ist Biologin und Pflanzenzüchterin, die eine Glückshormon versprühende Blume gezüchtet hat. Nach ihrem kleinen Sohn benennt Alice ihre Kreation "Little Joe". Die Firma riecht schon das große Geschäft, doch plötzlich entwickelt die Pflanze ein Eigenleben. Im Film entspinnt sich folgender Dialog:
"Der behandelnde Arzt sagt, er denkt, dass Bello wahrscheinlich Altersdemenz hatte."
"Aber das klingt doch sehr plausibel."
"Ich denke eher, es ist Little Joes Pollen, der irgendetwas auslöst."
"Vielleicht keine Allergie, aber etwas anderes."
In "Little Joe" erzählt Regisseurin Jessica Hausner, angelehnt an den amerikanischen Horrorfilm der 1970er-Jahre, von unserer heutigen Glücksdiktatur, von unserem Selbstoptimierungswahn und von Mutterschaftsängsten. Was war der Ausgangspunkt des Films einer Wissenschaftlerin, die Leben schafft. Der Mensch als Gott?

Weiblicher Frankenstein

Jessica Hausner: Ja, beziehungsweise denke ich eher an Frankenstein. Diese Geschichte von dem Wissenschaftler, der ein Monster erschafft, und das Monster gerät außer Kontrolle, das war auch mit eine Inspirationsquelle für "Little Joe". In diesem Fall ist es eine weibliche Wissenschaftlerin, also ein weiblicher Frankenstein; sie erschafft diese Blume und die Blume tut nicht genau so, wie sie soll. Aber das andere, unter Anführungszeichen "Monster", das diese Wissenschaftlerin erschafft, ist ihr eigenes Kind. Also das Muttersein spielt auch eine Rolle in der Thematik dieses Films. Die Frau ist sozusagen auch irgendwo im Zwiespalt zwischen ihrer Leidenschaft für ihren Beruf und ihrer Liebe zu ihrem Kind. Sie hat teilweise das Gefühl, nicht beides unter einen Hut bringen zu können.
Wellinski: Da Sie Frankenstein erwähnt haben – dort war es ja explizit ein Monster, bei Ihnen ist es eine Blume, etwas Liebliches, Romantisches. War es denn von vornherein klar, dass es eine Blume werden soll oder eine Pflanze in dem Fall, die sich dann langsam anders entwickelt, als sie eigentlich gedacht war?
Hausner: Es war nicht von Anfang an klar, dass es eine Blume wird. Ich finde dieses Objekt genau deswegen interessant, weil es scheinbar freundlich wirkt, auch die Farbe, also die rote Blume – bei Rosen steht die Farbe Rot ja auch für Liebe, man kann sie aber auch als Farbe für Gefahr interpretieren. Dieses Liebliche einer Blume fand ich deswegen interessant, weil ich denke, dass vor allem in unserer Zeit Manipulation oder Beeinflussung oft von sozusagen harmlosen Quellen herrührt: Die Blume wirkt harmlos und eigentlich nett oder vielleicht auch ein bisschen unheimlich, aber die Blume beeinflusst die Menschen angeblich, wobei – das ist sozusagen ein Rätselraten im Film. Ich finde eben, es ist eine Art Allegorie, es ist ein Vergleich eigentlich. Jede Zeit hat sozusagen ihre Manipulatoren, wenn man so will. Ich denke, in unserer Zeit sind wir alle auch stark beeinflusst. Diese freie Gesellschaft, in der wir leben, das ist, glaube ich, eine vermeintliche Freiheit, weil wir werden ganz stark manipuliert durch bestimmte Vorgaben und Regeln unserer Gesellschaft. Das ist ein Blickpunkt, den ich sehr spannend finde.

Glück als Götze

Wellinski: Auch eine Gesellschaft übrigens, die so das Streben nach Glück ganz nach oben hingeschrieben hat: Alles soll uns ja irgendwie glücklich machen. Es gibt diesen Begriff der "Instant Gratification", egal was ich mache, ich soll mich nicht anstrengen und sofort Glück bekommen. Das ist ja auch die Idee vom Little Joe, von der Pflanze, durch einen Ausstoß von Oxytocin, das Mutterhormon, sollen alle Menschen glücklich sein. Sind wir irgendwie süchtig nach Glück?
Hausner: Ich finde es schon ein bisschen fragwürdig, dass unsere Gesellschaft sich so sehr um Glück bemüht. Das hat für mich, ehrlich gesagt, auch was Unheimliches, weil es viel mit Verdrängung zu tun hat. Es verdrängt, glaube ich, die Schattenseiten unserer Existenzen und auch die Schattenseiten der Existenzen anderer Leute. Ich meine jetzt ganz explizit, im politischen Sinn, der Leute, die nicht so viel Geld haben wie vielleicht die westliche Gesellschaft. Auch das Sterbenmüssen, das Altern, Krankheit, das wird auch alles verdrängt. Unsere Gesellschaft ist so stark konzentriert darauf, alles zu optimieren, auch das, was den Smalltalk betrifft. Es ist ja so eine Regel – "Wie geht’s dir?" - "Mir geht’s gut" –, und in den letzten Jahren, finde ich, steigert sich das so, dass jeder sozusagen zu so einem Werbeträger von sich selbst wird. Ich finde das teilweise schon absurd, wie die Leute sich hochpreisen. Ich freue mich, mal wieder wen zu treffen, der auf die Frage "Wie geht’s dir?" sagt: "Mir geht’s echt schlecht".
Wellinski: Liegt es vielleicht auch daran, dass die Idee von Little Joe ist, dass man immer glücklich ist – und die Idee von Glück ist ja, dass es nichts Konstantes ist. Glück ist ja etwas nur für einen Moment, etwas sehr Ephemeres, es ist dann weg – aber das können wir uns ja gar nicht vorstellen, dass wir nur ab und zu mal glücklich sind. Letztendlich macht ja Alice, die Wissenschaftlerin, in Ihrem Film daraus auch ein Geschäft, das ist ja die Idee damit, dass alle Menschen glücklich sind und quasi permanent auf Droge.
Hausner: Na ja, es geht genau darum, dass Glück eigentlich eine Idee ist: Es lässt sich nicht wirklich festnageln, es ist nichts, was sozusagen objektivierbar irgendwo stattfindet. Es lässt sich auch nicht einem Menschen ansehen, ob der glücklich ist. Damit wird ja auch ganz ironisch gespielt in der Geschichte: Macht die Blume jetzt glücklich oder nicht? Und woran lässt sich das messen? Also wer ist schon glücklich, und schaut der dann anders drein oder woher weiß man das. Da gibt es ja auch ganz viele Szenen, die sich einen Spaß damit machen, dass diese ganze Idee eigentlich wirklich in den Köpfen der Leute stattfindet, mehr als dass es jetzt wirklich durch die Pflanze passiert.

Alleinerziehende und das schlechte Gewissen

Wellinski: Wie ist das eigentlich, wenn Sie sagen, der Film macht sich auch über gewisse Dinge lustig? Bezieht sich das auch auf das Verhältnis von Alice als alleinerziehende Mutter in Vollbeschäftigung? Es ist ja so eine Idee, dass beides irgendwie nicht unter einen Hut zu bringen ist, und irgendwie schafft sie es ja auch nicht wirklich, wenn man ehrlich ist.
Hausner: Na ja, eigentlich schafft sie es schon – das Problem ist das schlechte Gewissen. Ich denke, der Film erzählt vor allem, dass Alice, die Hauptfigur, belastet ist durch die Angst, sie könnte nicht genügen als Mutter. Und das ist etwas, was ich zeigen möchte, was ich eben auch wirklich spannend finde, dass unsere Gesellschaft nach wie vor eine Mutter mit einem bestimmten Maßstab misst, und der bedeutet mehr oder weniger, dass eine Mutter ihr Kind mehr lieben soll als alles andere auch. Und ich zeige eine Mutter, die ihr Kind schon liebt, aber sie liebt auch ihren Beruf, weil sie eine hingebungsvolle Wissenschaftlerin ist, die auch eine sehr gute Karriere macht. Und dieses kann natürlich nebeneinander existieren, das ist ganz klar, nur offensichtlich glaubt es unsere Gesellschaft nicht. Und das ist mit ein Grund, warum Mütter teilweise ein schlechtes Gewissen haben, wenn sie sich auf ihren Beruf konzentrieren, denn möglich ist es auf jeden Fall.
Wellinski: Sie haben schon das amerikanische Genre-Kino angesprochen, "Die Körperfresser – Little Shop of Horrors" ist natürlich, wenn man so eine Pflanze sieht, auch irgendwie sehr nah dran. Wie arbeiten Sie eigentlich mit so einem Kino-Einfluss? Ist das etwas, was Sie visuell inspiriert, wo Sie sagen, ja, vielleicht könnte ich sogar noch eine Art Zitat einbauen, oder ist das Kino einfach nur Inspiration, um zu sagen, ja, die Geschichte soll ungefähr da in dem Korridor des amerikanischen B-Films angesiedelt sein?
Hausner: Das ist jedes Mal unterschiedlich. Bei "Little Joe" war tatsächlich das Genre eine Inspiration, um das Drehbuch zu schreiben, also ganz konkret "Invasion of the Body Snatchers". Dieser Film und das Buch waren mit ein Grund, das Buch "Little Joe" zu schreiben. Insofern lässt sich das jetzt nicht allgemein beantworten. Bei "Amour Fou" zum Beispiel habe ich, glaube ich, komplett auf irgendwelche Kino-Inspiration verzichtet, da habe ich die Inspiration aus anderen Quellen geschöpft, vielleicht sogar mehr aus der Bildenden Kunst. Aber bei "Little Joe" war das was anderes: Das war ein Teil der Grundidee, und natürlich, klar, finden sich dann Genre-Elemente auch in der Visualisierung und auch sogar in Tonelementen.

Wir leben in einer Verdrängungsgesellschaft

Wellinski: Es ist überhaupt interessant, wie sehr der Horrorfilm im Arthouse-Kino gerade so eine Art siebte Renaissance erlebt, immer mal wieder so in Wellen. Können Sie sich das erklären, was an Zombies, Untoten oder Glückshormone versprühenden Pflanzen so attraktiv ist, dass sich ja Ihre Generation von Filmemachern so stark auseinandersetzt, aber auch ein Publikum dafür anscheinend existiert?
Hausner: Ich denke, dass Horror und der Reiz an Horrorfilmen eben viel mit Verdrängung zu tun haben, und wir leben in einer Verdrängungsgesellschaft. Deswegen, glaube ich, gibt es ein gesteigertes Interesse. Die Monster, die unter dem Teppich hervorkehren, das sind unsere Monster, die wir vorher unter den Teppich hineingekehrt haben.
Wellinski: Also ist es eine Art Therapie?
Hausner: Ja, auf jeden Fall. Ich denke, grundsätzlich sind Horrorfilme eine Art Therapie, sie haben auch oft mit Vergänglichkeit zu tun, also dass sozusagen abgestorbene Körperteile plötzlich lebendig werden. Es ist ein Sichbeschäftigen mit dem eigenen Älterwerden, mit der eigenen Vergänglichkeit und letztlich mit dem eigenen Sterbenmüssen. Und je stärker eine Gesellschaft das verdrängt, desto stärker sind die Monster, die in den Filmen und in den Geschichten hervorkommen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema