"Berufung alleine macht noch nicht den Priester"
Das Erste, was ein Priester mitbringen müsse, sei "eine menschliche Begabung, in Kommunikation zu treten", so Stephan Kessler, Jesuit und Priesterseminar-Leiter. Außerdem müsse der Kandidat prüfen, ob das Zölibat als Lebensform zu ihm passt.
Anne Francoise Weber: Steigende Kirchenaustritte, Gemeindefusionen, weniger Anerkennung und weniger Selbstverständlichkeit der Arbeit – das alles sind Entwicklungen, die die Entscheidung für den Pfarrberuf nicht gerade einfach machen. Besonders schwierig scheint es für Kandidaten auf katholischer Seite: Zum Pflichtzölibat kommt noch der Ansehensverlust durch die Missbrauchsskandale, die in den vergangenen Jahren publik wurden.
Trotzdem entscheiden sich jedes Jahr junge Männer dazu, Priester zu werden. Sie absolvieren nicht nur ein Theologiestudium, sondern treten üblicherweise gleichzeitig in ein Priesterseminar ein, in dem sie das geistliche Leben und Arbeiten einüben sollen. Stephan Kessler leitet so ein Priesterseminar. Der Jesuit ist Regens – so der Fachbegriff für seinen Job – des Priesterseminars Sankt Georgen in Frankfurt am Main. Es wird vom Jesuitenorden geleitet, von vier Bistümern getragen und beherbergt aktuell rund 30 Priesterkandidaten.
Ich habe vor der Sendung mit Stephan Kessler gesprochen und ihn zunächst gefragt, was ein Priesterkandidat denn mitbringen sollte: vor allem das Gefühl, berufen zu sein, oder doch mehr ganz handfeste kommunikative Fähigkeiten?
Nachweis, dass ein Mensch geeignet ist
Stephan Kessler: Das Erste, was er mitbringen soll, ist eine Offenheit, eine menschliche Begabung, in Kommunikation zu treten, verbunden mit dem Willen, etwas weiterzugeben, was ihm persönlich wichtig geworden ist, wo er eine persönliche Erfahrung gemacht hat. Wenn das sich verbindet, diese Kompetenz mit der Berufung, ist das ganz okay, aber Berufung alleine macht noch nicht den Priester, sondern erst sozusagen auch der Nachweis, dass ein Mensch geeignet ist und die Begabungen mitbringt, die er braucht, um diesen Beruf als Priester auszuüben.
Weber: Das heißt, es kann auch passieren, dass Ihnen da jemand geschickt wird von einem Bistum als Priesteramtskandidat, und Sie haben dann doch erhebliche Zweifel, ob der Mensch tatsächlich dazu geeignet ist? Selbst wenn er selbst sich komplett berufen fühlt, Priester zu werden?
Kessler: Ja, das kann natürlich im Extremfall vorkommen. Aber wenn jemand sozusagen heute den Beruf als Priester ergreift, dann ist das glaube ich anders als vor längerer Zeit, weil – Sie haben das schon erwähnt – der Bedeutungsverlust der Kirche, des kirchlichen Lebens und sozusagen auch der Anerkennungsverlust des priesterlichen Dienstes selbst in einer christlich und katholisch geprägten Gemeinde, in der über weite Strecken die Anforderungen des priesterlichen Dienstes – zum Beispiel wie sie im zölibatären, ehelosen Leben deutlich werden – gar nicht mitgetragen werden.
Wer heute kommt, hat sich besser geprüft und in den verschiedenen Diözesen sozusagen auch schon mit der Berufungspastoral meistens ein Programm durchlaufen, wo er sein Interesse und seine Eignung schon geprüft hat.
Weber: Daraus höre ich so ein bisschen heraus, dass das also die ganz Überzeugten sind, die jetzt noch Priester werden wollen. Ist das nicht manchmal auch ein Problem? Ist es nicht manchmal auch ganz gut, in der Gruppe einen Zweifler zu haben, der sagt, Leute, wollen wir uns das noch mal ganz von vorne überlegen, was machen wir hier eigentlich?
Natürlich sind Zweifler gut
Kessler: Ja, Sie sprechen mir aus der Seele! Natürlich sind die Zweifler gut, aber auch der ganz Überzeugte, wenn er nicht bereit ist, sich den Zweifeln zu stellen, den eigenen und denen der Gruppe oder auch denen derer, die in der Ausbildung Verantwortung tragen, dann ist der am falschen Ort. Diese Institution heißt Priesterseminar und das bedeutet Wachstum. Ein Ort, wo sozusagen ein gewisser Prozess auch eingegangen wird. Die allzu Überzeugten kommen meistens gar nicht so weit oder Überzeugungen geraten dann ganz schnell ins Wanken, auch und nicht zuletzt durch die Auseinandersetzung mit einer kritischen Theologie oder mit einer Kirchensituation, die alles andere als volkskirchlich rosig ist.
Weber: Das heißt, es gibt auch junge Menschen, die das dann wieder abbrechen und die sagen, das ist nichts für mich?
Kessler: Das gehört sicherlich dazu, dass Menschen gehen aus eigener Einsicht, aber manchmal entsteht das auch im Gespräch, dass deutlich wird, na ja, vielleicht könnten sie sich etwas anderes überlegen, vielleicht ist die menschliche Reife nicht so gegeben, dass es unbedingt so ein öffentlicher Beruf sein muss.
Weber: Kompetenzen, das kann man ja irgendwie lernen. Aber wie kann man jemanden auf das Zölibat vorbereiten? Das ist doch eine schwierige Sache, oder?
Von sich aus ist niemand für den Zölibat
Kessler: Das ist durchaus eine schwierige Sache, weil von sich aus ist niemand für den Zölibat, für die ehelose Lebensform geboren. Das heißt, die zölibatäre Lebensform, würde ich einem Studierenden und Seminaristen immer raten, muss eine Lebensform sein, die jemand erwählt und ergreift oder für sich eben übernimmt, wenn er darin die Möglichkeit sieht, mehr ein liebender Mensch zu sein. Wie kann man das lernen? Ja, zuerst muss ich einmal lernen, was sind meine emotionalen, meine affektiven, also meine gefühlsmäßigen und meine sexuellen Bedürfnisse? Ich muss mich als Mensch, Mann und Christ eben mal zunächst ganz annehmen. Und dann muss ich gucken, passt diese Lebensform zu mir? Ist das etwas, wo ich mich mehr sozusagen ausfalten kann in einer größeren Verantwortung, in einem größeren Kontext, oder bin ich da permanent überfordert, frustriert, resigniert?
Weber: Als Seminaristen verpflichten sich die jungen Männer ja noch nicht zum Zölibat, sondern erst bei der Weihe. Das heißt, könnte auch einer sagen, ich will jetzt einfach mal diese Beziehung ausprobieren, ich habe da jemanden kennengelernt, und dann entscheide ich, ob das mein Weg ist oder ob ich mich doch lieber dem Zölibat und Gott zuwende?
Viele haben eine Geschichte eines sexuellen Lebens
Kessler: Gut, also, die Menschen und Männer, die heute kommen, um katholischer Priester zu werden, die kommen ja nicht sozusagen aus einer behüteten, kleinkarierten Welt, eines kleinen Seminars, wo sie weder Frauen noch sexuelle Kontakte hatten, sondern viele haben eine dezidierte Geschichte eines emotionalen, affektiven und sexuellen Lebens und kommen, um sich zu entscheiden, Priester zu werden. Und auch im Priesterseminar, natürlich verliebt sich der eine oder der andere. Und dann würde ich aber sagen, das ist jetzt nicht ein Moment, wo man Hals über Kopf sagen muss, heute müssen Sie gehen. Sondern ich sage dann in der Regel, jetzt müssen Sie mal entscheiden, Sie sind mit guten Gründen hierhergekommen, um diese Ausbildung mit Blick auf die Weihe auf sich zu nehmen, und jetzt ist eine andere Begegnung dazugekommen, die für Sie im Moment viel wichtiger ist und die Ihr ganzes Leben bestimmt, und jetzt schauen Sie mal! Und dann kann man ja auch im Semestergespräch das noch mal zum Thema machen und so wächst und reift jemand.
Also, Priesterausbildung, gerade auch ich würde sagen der letzten 30 Jahre, nimmt diesen Aspekt des emotionalen und affektiven Reifens sehr ernst und versucht auch, da eine Sprachfähigkeit zu erwerben, was vorher oft in der Kirche nicht der Fall war. Aber ich möchte noch mal ganz kurz anfügen, dass das nicht die Hauptsache ... Das muss in der Ausbildung vorkommen, aber es ist nicht das Zentrum. Das Zentrum ist nicht der Zölibat, sondern eine Lebensweise in der Nachfolge Jesu zur Verkündigung des Evangeliums.
Weber: Das ist klar und das will ich auch gar nicht in Abrede stellen. Eine Frage muss ich trotzdem noch zu diesem Themenbereich stellen, weil es ein wichtiges Thema ist, was immer wieder angesprochen wird, nämlich die Homosexualität. Sie sprachen jetzt mehr von Frauen, es könnte ja durchaus auch sein, dass unter den Männern da welche mit homosexuellen Neigungen sind. Und eine reine Männergruppe bietet sich ja vielleicht auch an, die auszuleben. Wie gehen Sie denn mit dem Thema um, das ist ja in der Kirche viel mehr noch tabuisiert?
Natürlich sind unter Priestern Menschen, die homosexuell empfinden
Kessler: Das ist erstens in der Kirche tabuisiert, wobei es sozusagen auch in den letzten Jahren klarere Weisen des Ausdrucks gibt. Natürlich sind auch unter Priestern Menschen, die homosexuell empfinden. Die Forderung des ehelosen, zölibatären Lebens gilt, ganz gleich welche sexuelle Prägung ein Mensch mitbringt oder gerade hat. Unter Papst Benedikt ist 2005/2006 ein noch mal sehr richtungweisendes Schreiben, das noch mal zu der Problematik von Homosexualität und Weihesakrament eingeht und auch die Dinge ganz klar anspricht und auch einen klaren Regelkatalog hat: Auch für einen homosexuell empfindenden Kandidaten gilt, dass er sozusagen sich bereiterklären soll, ein Leben in sexueller Enthaltsamkeit nicht in einer festen Bindung und Beziehung, dass er lernen soll, von sexualisierten Milieus gleich welcher Art, besonders eben auch Homosexuellen-Milieus sich fernzuhalten und eben seine sexuelle Identität und Orientierung nicht zum Thema seiner Verkündigung zu machen. Ohne dass er deswegen nur darüber schweigt! Die Homosexualität in einem Männerbund bringt natürlich eine eigene Problematik mit sich und das wird angesprochen, das wird besprochen. Und ich versuche, als Regens dort eben auch, jemandem Entscheidungshilfen zu geben, das Beste für sein Leben zu entscheiden.
Weber: Und vermutlich – um auch noch dieses Thema schnell abzuhaken – werden Sie auch mit der sexualisierten Gewalt, mit diesem Thema anders umgehen, das auch in der Ausbildung ansprechen?
Kessler: Es ist nicht nur die sexualisierte Gewalt, sondern es ist eben auch überhaupt die Frage von Gewalt und Macht in der Kirche und auch in einer männerbündischen Kirche. Da stellen sich auch systemische Fragen, wo die katholische Kirche und die Kirchen insgesamt noch nicht am Ende sind. Seelsorge lebt vom Vertrauen und lebt von Intimität und Nähe. Die muss aber so professionell sein, dass sie eben vor Übergriffigkeiten nicht nur im intimen sexuellen Bereich, sondern auch im Bereich der Meinungsfreiheit, des Denkens und des Wollens eben überall gewahrt ist. Da ist eine ganz neue Sensibilisierung sozusagen für die Kirche offensichtlich geworden und an dem Thema muss man permanent arbeiten.
Weber: In Bayern hat am vergangenen Sonntag ein deutscher Priester kongolesischer Herkunft gesagt, dass er seine Gemeinde verlassen will aufgrund von rassistischer Hetze und Morddrohungen. Was macht so eine Nachricht mit Ihren Kandidaten? Das zeigt ja auch, wie verletzlich man als Priester ist, oder?
Kessler: Ja, die Kirche ist auf der einen Seite ein Global Player unter den Institutionen, die heute Gesellschaft prägen und bestimmen, sicherlich der älteste und längste. Aber sie ist eben auch gefangen immer in nationale und enge Konzepte und hier scheinen sich ja am Rande von München eben politische Fragen mit religiösen Fragen und eben eine nicht haltbare ...
Weber: Nennen wir es Rassismus!
Kessler: ... rassistische Ausschreitung, der widerstanden werden muss in aller Klarheit und aller Schärfe. Das kann in einer Gesellschaft – da ist die Kirche nicht davon ausgenommen – keinen Platz haben.
Weber: Noch kurz zum Schluss: Sie werden im Herbst nach elf Jahren das Amt als Regens abgeben und als priesterlicher Mitarbeiter an der Jesuitenkirche Sankt Peter in Köln tätig sein. Was wird Ihnen fehlen und bei was sind Sie froh, dass Sie das dann nicht mehr in Ihrem Aufgabenfeld haben werden?
Kessler: Fehlen werden mir vor allem die Menschen, deren Wachstum ich sehen und begleiten durfte. Das klare Feedback zu geben, aber auch, wie das in Familie und Schule, auch jeder Elternteil, jeder Lehrer wird es bestätigen können: Nichts ist ehrlicher als junge Menschen, die einem ein klares Feedback geben. Auf manche Dinge sagen wir mal der Studienorganisation und der einzelnen Punkte, da kann ich drauf verzichten. Aber die Beobachtung des menschlichen Wachstums wird mir sicherlich fehlen. Das ist natürlich in einer Gemeinde etwas ganz anderes.
Weber: Vielen Dank, Stephan Kessler, Jesuit und Leiter des Priesterseminars Sankt Georgen in Frankfurt am Main!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.