"Wir", Nationaltheater Mannheim, Premiere am 24. Mai 2019, 20 Uhr im Studio Werkhaus, weitere Termine im Juni und Juli 2019
Düstere Allegorie auf den Stalinismus
08:21 Minuten
Das Nationaltheater Mannheim bringt einen vergessenen Sci-Fi-Klassiker auf die Bühne: Der Roman "Wir" des Russen Jewgenij Samjatin beschreibt, vor Huxley und Orwell, einen Überwachungsstaat. Dessen Optimierungswahn sei sehr aktuell, sagt Regisseurin Roscha Saïdow.
Die ferne Zukunft. Die letzten Menschen leben innerhalb der Mauern des "Einzigen Staates" und sind heilfroh, sich nicht mehr mit überholten Konzepten wie Liebe und Freiheit abmühen zu müssen. So kann sich auch D-503, Konstrukteur des Raketenschiffs "Integral", nichts Besseres vorstellen, als eine perfekte Nummer im Kollektiv zu sein, sein rosa Billett beim streng geregelten intimen Kontakt abzugeben und durch die gläsernen Wände seiner Wohnung die heile, logische Welt zu betrachten.
Bis er sich in die mysteriöse Nummer I-330 verliebt. Mit einem Mal sind da alle diese Emotionen, diese aufregenden Geheimnisse. Entscheidet sich D-503 am Ende doch gegen den vorgegebenen Lebensentwurf?
Nachzulesen ist diese Geschichte in Jewgenij Samjatins Roman "Wir" – eine Dystopie, die heute nur Wenigen geläufig ist, obwohl sie bereits in diversen Hörspielfassungen verarbeitet wurde.
Das Buch erschien bereits 1920, als hellsichtige Vorwegnahme des Stalinismus. Das war einige Jahre bevor Aldous Huxley ("Brave new World"), George Orwell ("1984") oder Ray Bradbury ("Fahrenheit 451") ihre thematisch ähnlich gelagerten, düsteren Zukunftsvisionen veröffentlichten.
Auf der Suche nach einem menschlicheren Weg
Jetzt inszeniert die Regisseurin Roscha A. Saïdow den Stoff im Nationaltheater Mannheim. Saïdow, derzeit Artist-in-Residence am Puppentheater Magdeburg, hat sich als formstarke Geschichtenerzählerin einen Namen gemacht und bringt Samjatins vergessenen Klassiker der Science-Fiction-Literatur als Mischung aus Schauspiel, Performance und Hörspiel auf die Bühne.
Sie habe die Wandlung eines Menschen zeigen wollen, der zunächst hinter dem System stehe und dann, durch ein besonderes Ereignis, für sich plötzlich einen anderen, menschlicheren Weg sehe. Viele der Motive aus Samjatins Roman seien auf heute übertragbar:
"Es gibt einen ungeheuren Optimierungswahn - am Menschen, am Körper, an der Psyche wird permanent herumgedoktert. Wir sind auch selber in einem Mechanismus drin, um uns immer weiter zu perfektionieren – letztendlich für ein System, um in diesem System funktionieren zu können."