Jhumpa Lahiri: Wo ich mich finde
Aus dem Italienischen übersetzt von Margit Knapp
Rowohlt Verlag, Hamburg 2020
156 Seiten, 20 Euro
Aufbruch in neue Gefilde
05:13 Minuten
Im Mittelpunkt von Jhumpa Lahiris neuem Roman steht eine Ich-Erzählerin, die ihren glanzlosen Alltag in einer namenlosen italienischen Stadt schildert. Nichts scheint das Muster der Gewohnheiten außer Kraft setzen zu können - bis die Protagonistin eine Entscheidung trifft.
Die amerikanische Schriftstellerin Jhumpa Lahiri, 1967 in London geboren und in einer indischen Community auf Rhode Island mit Bengalisch und Englisch aufgewachsen, tat vor einigen Jahren etwas Erstaunliches: Sie wechselte ihre Sprache und begann, auch auf Italienisch zu schreiben.
In ihrem Essay "Mit anderen Worten" (2017) schilderte sie ihr stürmisches Liebesverhältnis zum Italienischen, das sie aus einem Impuls heraus zu lernen begann - einfach, weil sie von den gurrenden Lauten, den herrlichen Superlativen und dem verschlungenen Satzbau hingerissen war. Eine Sprache wie ein warmes Bad im Meer. Sie ließ sich mit ihrer Familie eine Zeit lang in Rom nieder, um sich endgültig im Italienischen zu verankern.
"Sprachpilgerschaft" ins Italienische
In diesem Prozess erkannte Lahiri Spuren ihrer eigenen Migrationsgeschichte. Das unstillbare Heimweh ihrer Eltern habe schließlich sogar ihre Berufswahl bedingt, denn anders als diese nistete sie sich im Englischen ein. Symbolisch vollzog sie die Auswanderungserfahrung dann aber später selbst nach – und trat eine "Sprachpilgerschaft" ins Italienische an, wie sie es nannte.
Mit "Wie ich mich finde" legt Lahiri nun wieder ein Buch in der adoptierten Sprache vor, und es ist kein Zufall, dass es von Entfremdung, Einsamkeit und einem Schritt in eine neue Welt erzählt.
Ungelöste Mutterbeziehung
Im Mittelpunkt steht eine 46-jährige Ich-Erzählerin, die in kurzen, knappen Kapiteln ihren Alltag in einer namenlosen italienischen Stadt in Augenschein nimmt. Die Überschriften der Kapitel liefern topographische Angaben: "Im Büro", "Auf dem Balkon", "Im Museum", "Im Schwimmbad" oder "In der Bar", und tatsächlich leuchtet die gedämpfte, melancholische Stimme über die Orte ihr bisheriges Leben und ihren seelischen Zustand aus.
Sie ist unverheiratet, geht lustlos einem Job an der Uni nach, lässt sich alle 14 Tage ihre Finger maniküren, hat ein paar Affären und ein, zwei Freundinnen und kultiviert eine Vorliebe für besondere Schreibwaren. So präzise sie andere beobachtet, so diffus wirkt alles, was sie selbst betrifft. Im Untergrund rumort die ungelöste Beziehung zu ihrer Mutter, einer unzufriedenen Witwe.
Karge und schmucklose Sprache
Der früh verstorbene Vater hat ihr immerhin die Liebe zum Theater vermittelt, die sie weiter pflegt. Nichts scheint das Muster der Gewohnheiten außer Kraft setzen zu können. Die Sprache des schmalen Romans ist karg, schmucklos und schlicht, was auch mit Lahiris besonderer Beziehung zum Italienischen zusammenhängt. Obwohl auf der Handlungsebene kaum etwas passiert, entwickeln die kurzen Abschnitte eine gewisse Spannung.
Die Autorin schafft es, die untergründige Depression zu vermitteln und das Ungenügen der Erzählerin an dieser selbst gewählten Windstille des Lebens spürbar zu machen. Irgendwann trifft sie eine Entscheidung.
Den Schlüssel liefert uns das Motto des Romans, das von Italo Svevo stammt: Ihn habe bei jedem Ortswechsel eine große Traurigkeit ergriffen. Die Lebensangst und Schmerzunlust des Triestiners, die ihn in einem ewigen Wartezustand verharren ließen, wird hier in etwas Anderes umgemünzt. In einen Aufbruch in neue Gefilde, wie ihn Lahiri selbst erlebt hat.