Jiddische Musik statt Goethe

Von Ulrike Greim |
Auf dem Festival "Yiddish Summer" in Weimar beschäftigen sich Musiker aus aller Welt mit verschiedenen Spielarten des Klezmer. Dieses Jahr erkunden die Teilnehmer auf Workshops, Vorträgen und Konzerten die Gemeinsamkeiten zwischen jiddischer Folklore und Roma-Musik.
Abends um zehn in der Weimarer Innenstadt. Eigentlich sind sie erschöpft, die Leute vom Yiddish Summer. Denn die Workshops für Tänzer und Tanzmusiker sind anstrengend. Und jetzt ist Feierabend. Aber für sie die Kür. Sie stehen unter den großen gelben Sonnenschirmen eines Eiscafés am Weimarer Markt und spielen und tanzen. Da wird ihr Essen kalt, die Schuhe drücken. Aber egal.

"Das ist wirklich ein guter Spirit", sagt Francesca Terberg. Sie ist Berufsmusikerin und kommt aus London.

"Denn die Musik ist einfach schön. Sie macht, dass sich jeder hier als Teil einer Gemeinschaft fühlt. Es scheint alle zu freuen. Viele kommen, um das zu hören, um zu tanzen, dabei zu sein. Und es ist schön, hier draußen Musik zu spielen, auf den Straßen und Plätzen."

Während die einen noch spielen, packen die anderen ihre Instrumente aus. Ohne große Absprachen gibt einer ein paar Töne vor, dann geht es los.

Einer, der sich immer mal wieder einklinkt und mitspielt, ist Matthew Schreiber aus Berlin. Der Sprachenlehrer spielt selber Klezmer in einer Gruppe. Er ist schon zum vierten Male beim Yiddish Summer, beziehungsweise bei dessen Winter-Edition, um zu lernen. Nun zum zweiten Male mit den Roma-Musikern.

"Sie vergleichen Lautari-Musik aus Moldawien mit jiddischer Musik. So ich bin besonders neugierig, wie sie sind ähnlich und wie sie sind nicht ähnlich."

Und was verwandt klingt, ist technisch doch ganz anders, sagt er, trickreich und wie eine neue Sprache. Aber eine verwandte.

Die jetzt spielen, kommen aus Ungarn und Moldawien. Alan Bern, der künstlerische Leiter des Yiddish Summer, hat sie auf Reisen gesucht, kennengelernt und eingeladen. Denn das, was sie spielen, ist für ihn ein Teil des großen Puzzles in der Frage, was "Yiddish Music" ist. Man müsse Musikarchäologie betreiben, um zu sehen, wie das, was in Moldawien selbstverständlicher Teil der Musikkultur ist, mit dem zusammengehört, was Klezmer-Bands in den USA spielen und überall auf der Welt. Denn Anfang des 20. Jahrhunderts spielten in Moldawien die jüdischen Musiker, die Klezmorum, zusammen mit den Roma-Künstlern, den Lautari. Was der Holocaust später getrennt hat, möchte Alan Bern in Weimar wieder zusammenbringen.

"Wenn man das, was damals in Nordmoldawien war, betrachtet als - sagen wir mal - die nächst verwandte Musik zu Klezmermusik, dann haben wir die Chance gehabt, jetzt in diesem Projekt so etwas wie den verlorenen Zwilling wieder kennenzulernen."

Nun unterrichten morgens die Klezmorum und nachmittags die Lautari. In der vergangenen Woche zum Beispiel Tanz.

14 Profis hat Alan Bern in diesem Jahr nach Weimar geholt, die als die "Other Europeans" hier Musik machen und unterrichten. Sie geben Konzerte, sie mischen bei den Jam Sessions mit, zusammen mit ihren Schülern, und sie unterrichten Musiker, Tänzer, Sänger. All das in fünf Sprachen. Sie brauchen Geduld. Etliche Wochen haben die 14 Musiker die Unterschiede ihrer Musik herausgearbeitet. In diesem Jahr nun wagen sie eine Synthese, sagt Alan Bern.

"In der Klezmer-Musik ist es sehr wichtig, dass jedes Instrument eine eigene Stimme mit eigenen Verzierungen und eigenem Ausdruck hat. Und in der zeitgenössischen Praxis der Lautari-Musik versuchen alle Instrumente unisono mit gleichen Verzierungen, mit gleichem Ausdruck. Die Wirkung ist völlig anders."

Während Klezmer beinahe wie ein Tohuwabohu wirke, sagt Alan Bern, werde in der zeitgenössischen Lautari-Musik eine Intention deutlich. Die "Other Europeans" haben sich in ihren Konzerten wechselweise darauf eingelassen, mal gemischt zu spielen, mal unisono. Auch für die Schüler ist dies ein spannender Prozess.

"Es sind also wirklich professionelle Musiker und sehr gute Lehrer. Und es dauert einfach, das, was man hier lernt, einzubringen","

sagt Matthew Schreiber. Er zehre lange von den Workshops des Yiddish Summer und er wolle mehr lernen. Francesca Terberg hat vermutlich ihren ganzen Jahresurlaub genommen, sie war schon zum Instrumental- und zum Tanzkurs dabei und bleibt noch zum Liedworkshop.

""Weil es der beste Ort ist, Yiddish Music zu lernen. Denn die Lehrer sind unglaublich, der Standard ist sehr hoch und ich mag das einfach hier."

Service:
Der Yiddish Summer findet noch bis zum 7. August 2009 in Weimar statt.