Jim Carrey und Dana Vachon: "Memoiren und Falschinformationen. Ein (fast) autobiografischer Roman"
Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Johannes Sabinski
Droemer Knaur, München 2020
272 Seiten, 20 Euro
Ein Generation-X-Buch über Sein und Schein
07:44 Minuten
Hollywood-Star Jim Carrey ist nicht nur Hauptfigur, sondern auch Mitautor von "Memoiren und Falschinformationen". Sprachlich schrullig werden hier Ruhm, Kult und Marktlogik hinterfragt. Das hätte auch Originalität und Witz gehabt, wäre es vor 25 Jahren erschienen.
Fast jeden Tag denke ich an David Foster Wallaces geschwätzigen, verbitterten Roman "Unendlicher Spaß" von 1996. Eine Satire über berühmte, traurige Männer, meist ruhig gestellt durch Kommerz, Drogen und den verlogenen, falschen US-Versprechungen von Überfluss.
Auch Video-Telefonie kommt vor, in der Zukunftswelt des Romans. Wallace nimmt Plattformen wie Skype und Zoom vorweg und denkt: Es strengt sicher an, immer freundlich-zugewandt zur Kamera zu blicken.
Die Lösung, im Buch? Alle kaufen sich Latexmasken ihrer eigenen, fröhlichen Gesichter. Jetzt können die Kameras frei filmen, ohne, dass jemand Müdigkeit, Verzweiflung oder Wut sehen kann.
Jim Carrey abgetaucht in Dystopien
1996 waren solche Ideen ihrer Zeit voraus. 2020 erschien ein Roman im selben Stil, von zwei Autoren derselben Generation – dem 59-jährigen Schauspieler Jim Carrey und dem 42-jährigen Satiriker Dana Vachon.
Ein Generation-X-Buch über Sein und Schein, die Kommerzialisierung aller Ängste und Gefühle, Computer-Abbilder und darüber, dass ein glatter, schöner, marktförmiger Abklatsch fast immer viel beliebter und lukrativer ist als das traurige, entfremdete "echte" Leben.
Die Hauptfigur von "Memoiren und Falschinformationen" heißt Jim Carrey. Jim lebt mit einer (furchtbar frauenfeindlich und einfallslos erfundenen) Trash-Schauspielerin in den Hügeln über L.A. und liebt düstere Netflix-Dokus über Evolution und Aussterben, Naturkatastrophen und Kollaps.
Carrey träumt davon, Mao Zedong zu spielen, dessen "großer Sprung nach vorn" Millionen Bauern tötete. Hasbro und Disney bieten ihm an, in der Verfilmung des Plastik-Kinderspiels "Hungry Hungry Hippos"/"Hippo-Flip" den Plot von "Gilgamesch" als 3-D-Spektakel nachzuspielen.
Doch dann wüten Waldbrände und Aliens schlagen der Menschheit vor, sich im goldenen Licht fliegender Untertassen selbst auszulöschen. Kanye West ist begeistert von der Idee, doch John Travolta und Scientology wollen die Eroberer mit Strahlenkanonen wegballern.
Wie uns die Welt gerne hätte
"Memoiren und Falschinformation" ist sprachlich so sperrig, schrullig, überfrachtet und absurd-"overwritten"-postmodern wie "Unendlicher Spaß".
Wer Douglas Couplands "Generation X"-Weltbild mag, den Humor der frühen "Simpsons", Bret Easton Ellis' "Glamorama" und "Lunar Park" oder 90er-Grotesken wie "Dogma" und "Mars Attacks", wer gerne mal wieder mit Biss und grellen Überzeichnungen daran erinnert werden will, wie inszeniert, wie kommerziell, wie medial verzerrt, wie eitel und wie warenförmig uns die moderne Welt gern alle hätte - und welchen Anpassungsdruck das selbst auf privilegierte Stars wie Jim Carrey ausübt: Hier ist ein Buch, das vor 25 Jahren Avantgarde, originell, wegweisend gewesen wäre.
Heute wirkt zu vieles verquast und pointenlos. In 20 Folgen der Serie "Kidding" spielte Carrey von 2018 bis 2020 eine recht ähnliche Star-Figur unter ähnlichem Druck: Einen Puppentrick- und Kinder-TV-Onkel, der den Tod seines eigenen Kindes schlecht verkraftet. "Kidding" ist etwas dünn, erwartbar - doch brachte mich an vielen Stellen fast zum Weinen.
"Memoiren und Falschinformationen" dagegen mischt billige Ironie, müde Übertreibungen, kalifornischen Selbstfindungskitsch und ein sehr naives, freudloses Menschenbild: Alle sind Puppen, beherrscht von Oberflächenreizen. Ein Buch, in dem jedes Adjektiv und jede Übertreibung "gewitzt" wirken will - doch das über 20 Jahre verspätet kommt. Witzlos. Bisslos. Aufgewärmt.