Superkräfte aus der Subkultur
Jim Chuchu ist ein Pionier der Multimedia-Kunst aus Kenia. Sein afrikanischer Superheld Makmende war bereits 2009 durch Youtube weltweit bekannt geworden. Seitdem ist der 33-jährige Kenianer zu einem Liebling der internationalen Kunstszene aufgestiegen. Nun läuft Chuchus Online-Serie "Tuko Macho" auf Youtube an.
"Meine Online-Serie 'Tuko Macho' zeigt ein Nairobi, das mich stark an Gotham City erinnert. Großkriminelle haben das Sagen. Die Bevölkerung ist ihren Taten hilflos ausgeliefert. Hinzu kommen, die vielen Graustufen der Kriminalität. Viele Leute schauen bewusst über die Verbrechen hinweg. Für mich zählen sie ebenso zu den Schurken der Stadt."
Der Kenianische Regisseur Jim Chuchu zeigt in seiner Online-Serie "Tuko Macho", die Schattenseiten der ostafrikanischen Großstadt Nairobi. Und die sind leider längst nicht nur Fiktion: Erst kürzlich hat die Polizei eine Demonstration gegen die endemische Korruption im Land blutig niedergeschlagen. Und in den Sozialen Medien kocht schon wieder eine Debatte hoch, über den möglichen Ausbruch ethnischer Gewalt, zur kommenden Wahl 2017. Ein fiktiver Superheld aus Afrika möchte in diesem Moloch nun ein für allemal für Ordnung sorgen und kommt dabei auch noch ohne die herkömmlichen Superkräfte aus.
"In Nairobi brauchst du keinen Röntgenblick und musst auch nicht Fliegen können. Ehrlichkeit und Anstand reichen völlig aus. Biko, der Held meiner neuen Serie beweist eine übermenschliche Portion an Mut, Tapferkeit und Geschick. Ich möchte die Narrative aus Hollywood erweitern und zeigen, dass jeder das Potential zum Superhelden hat und so etwas dazu beitragen kann, dass sich unsere Stadt verändert."
Nicht der erste afrikanische Superheld
Es ist nicht das erste Mal, dass Jim Chuchu einen afrikanischen Superhelden aus der Taufe gehoben hat. 2009 verbreitete sich das Musikvideo seines ehemaligen Musiker-Trios "Just a Band" viral: Hunderttausendfach wurde der Clip geteilt. Darin zu sehen, die sagenumwobene Heldenfigur Makmende. Ein Art kenianischer Chuck Norris im Look der 60er Jahre: Mit Sonnenbrille, Stirnband und übertriebener Männlichkeit – stellt er sich gegen die Schurken der Stadt.
Ein Superheld aus Afrika, das war vor sieben Jahren neu. Jim Chuchu wurde mit seiner Gruppe "Just a Band" zu Konzerten nach Europa eingeladen und spielte auf der angesagten Musikmesse "South by South West" in Austin, Texas. Heute zählt er zu den gefragtesten Künstlern aus Kenia, hat in New York, Glasgow und Frankfurt ausgestellt und seine Filme laufen auf Festivals weltweit. Erst letztes Jahr bekam der 33-Jährige auf der Berlinale für "Stories of our Lives" den Jury-Preis verliehen. In dem Film zeigte er fünf Geschichten über homosexuelle Liebe in Kenia. Ein Tabuthema im Land. Deshalb ist der Film in Kenia verboten. Und Jim Chuchu hätte sich auch längst ins Exil absetzten können. Gelegenheiten gab es reichlich. Doch Jim Chuchu bleibt seiner Heimatstadt treu.
"Es gibt eine ganz besondere Energie, die du nur in Nairobi, Johannesburg oder Lagos erleben kannst. Ich habe mich bewusst entschieden in Nairobi zu bleiben. Es ist ein großartiges Gefühl hier Schwarz zu sein und sich voller Phantasie seinen Träumen zu widmen. Jedes mal wenn ich in Deutschland oder New York ins Museum gehe, habe ich das Gefühl, dort ist schon alles gesagt worden."
Angewidert von Konsum-Exzessen der neuen Reichen
In der Boomtown Nairobi wird es Jim Chuchu jedenfalls nicht langweilig. Die Gesellschaft befindet sich in einem Umbruch. Facebook, Google und die Mobilfunkriesen haben in der tech-affinen Bevölkerung einen schlummernden Absatz-Markt entdeckt. Und auch die Start-up Szene floriert. Multinationale Firmen investieren in die Förderung von Jungunternehmen. Es ist gar vom Silicon Savannah, einem Silicon Vally Afrikas die Rede.
Auch Jim Chuchu hat mittlerweile seinen eigenen Kultur-Hub in Nairobi eröffnet. Der Co-working Space "The Nest" gibt jungen Kulturschaffenden einen Arbeitsplatz mit Internet. Hier schlägt das Herz der Subkultur Kenias. Hier stellen sich alternative Kunst-Konzepte gegen die Protagonisten der omnipräsenten Popkultur, die nur sich und ihr Geld, etwa in protzigen Musikvideos feiern.
"Der ökonomische Aufschwung in Afrika hat eine Schicht von superreichen Afrikanern hervorgebracht, die eine neue Konsum-Kultur etabliert haben. Gerade ist bei uns eine Reality-TV-Show angelaufen, sie heißt "Nairobi Diaries". Sie zeigt kenianische Hausfrauen, die extrem schön sind und viel Geld haben und alles was in ihrer Macht steht tun, um noch schöner und reicher zu werden. Sie tragen zwar keinen Heldenumhang doch mit ihren Schönheits-OPs, Brustvergrößerungen und aufhellenden Hautcremes, haben sie auf die Jugend vergleichbare Anziehungskräfte wie Superhelden."
Superhelden mit Silikon-Brüsten? Jim Chuchu ist fasziniert und angewidert zugleich von den Konsum-Exzessen der neuen Reichen auf dem Kontinent. Doch Inspiration zieht er lieber aus inneren Werten als aus äußerem Schick. Er sehnt sich nach afrikanischen Werten und einer Moral, wie sie sich oft noch, in den Songs der frühen Popmusik Ostafrikas finden lässt.
"Es macht mir Spaß, Songs aus meiner Kindheit neu zu interpretieren. Sie stammen aus einer Zeit, wo das Leben noch schlichter war und sich die Frage nach einer afrikanischer Identität, einfacher zu beantworten ließ. Wenn ich diese alten Songs höre, habe ich immer das Gefühl, die Musiker sprechen zu mir. Sie wollen, dass wir aus ihrem Wissen und ihrer Erfahrung etwas lernen."
Teil einer neuen Subkultur
Jim Chuchu ist zu einem Chronisten seiner Gesellschaft geworden. Auch wenn es ihm mit seiner Musik und der neuen Online-Serie "Tuko Macho" wohl nicht gelingen wird, den Mainstream in seinem Land anzusprechen, gehört er doch zu den spannendsten Künstlern aus Afrika. Er ist Teil einer neuen Subkultur, die ebenfalls durch den ökonomischen Aufschwung in Afrika entstanden ist und nun von Nairobi aus die europäische Sicht auf Afrika in Frage stellt.
Immer wieder kommt Jim Chuchu im Gespräch auf Biko, seine Heldenfigur aus "Tuko Macho" zurück. Und je länger er von ihr spricht, desto mehr hat man das Gefühl, es steckt ein Stück von Jim Chuchu in seinem afrikanischen Superhelden, der sich in einem Afrika, zwischen Modernität und Konsum für mehr Vernunft einsetzt.
"Wenn du Kinder auf der Straße in Nairobi nach ihren Vorbildern fragst, nennen sie dir Namen wie Nelson Mandela, Mahatma Gandhi oder Martin Luther King. Aus Kenia ist niemand dabei. Wir haben einen Mangel an Heldenfiguren. Und dabei geht es mir gar nicht mal um Superhelden, sondern einfach Personen, denen du vertrauen kannst."