Jim Morrison und The Doors

Ich kann alles - ich bin der Eidechsenkönig

Die Bilder der Rockmusiker Jim Morrison (l-r), Elton John und David Bowie des Künstlers Jürgen D.Flohr stehen in der Galerie " Niagara" in Düsseldorf (Foto vom 18.11.2008). Für seine neue Ausstellung in der Galerie "Niagara" in Düsseldorf hatte Flohr einen Zyklus von 12 großformatigen Portraits mit dem Titel "Rockstar Mythen III" geschaffen. Die Bilder, von Hand in Acryl auf Leinwand gemalt, haben alle die Maße 250x150 Zentimeter und zeigen verschiedene Rockstars.
Jim Morrison und die Doors © dpa / picture alliance / Horst Ossinger
Von Tom Noga |
Mit ihrer Mischung aus Jazz und Rock waren die Doors eine der schillerndsten Bands der 60er-Jahre. Und doch waren sie nichts ohne ihren Sänger Jim Morrison (1943 - 1971). Jim Morrison begriff sich als Dichter, seine Texte als Poesie.
Jim Morrison hatte sich einem ehrgeizigen Projekt verschrieben: Er wollte den Indianer in sich erwecken, sich dem Unbewussten öffnen, zwischen der Welt des Realen und der des Imaginären pendeln. Er sah sich als Schamane, der die Rockgemeinde auf eine Reise in dieses andere Universum führt - "Break on through to the other side", wie es in einem seiner Songs heißt.
Interview mit Autoren der Langen Nacht, Tom Noga:
Vier Jahre dauert die Karriere der Doors vom ersten Album im Jahr 1967 bis zu Morrisons Tod in der Badewanne einer Pariser Mietwohnung. Vier Jahre, in denen die Doors großartige Songs einspielten, zahlreiche Skandale auslösten und zuletzt immer mehr zerfielen: In die Musiker auf der einen Seite und auf der anderen Seite Jim Morrison, der das Scheitern seiner Mission begriff und verzweifelt versuchte, aus der Vermarktungsmaschine des Rockgeschäfts auszusteigen.

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"Schmerz ist dazu da, uns aufzuwecken. Die Leute versuchen, ihren Schmerz zu unterdrücken. Aber das ist falsch, Schmerz muss man mit sich herumtragen, wie ein Kofferradio. Erst wenn man Schmerzen empfindet, beginnt man, die eigene Stärke zu spüren." (Jim Morrison)
Im Frühjahr 1967 sind die Doors die heißeste Band Amerikas. Und Jim Morrison steigt zum Sex-Symbol auf: Für ein Foto-Shooting posiert er mit zerwuselten Haaren, Schlafzimmerblick, lasziv geöffneten Lippen, blankem Oberkörper und ausgebreiteten Armen – der Jesus Christus des Rock'n'Roll, bereit sich ans Kreuz der öffentlichen Erwartungen nageln zu lassen.
Dabei wollte Morrison ursprünglich eigentlich zum Film.
"Ich habe Jim Morrison an der Filmakademie in Los Angeles kennen gelernt, ein paar Jahre, bevor wir die Doors gegründet haben. Ich erinnere mich an seinen ersten Film, und das Problem mit diesem missverstandenen Projekt war, dass es sich um Dichtung handelte. Es war filmisch umgesetzte Dichtung, ein Gegeneinanderstellen verschiedener Bilder, die in keiner linearen oder narrativen Beziehung zueinander standen. Aber nach fünf Minuten ergab sich ein kollektives "Ganzes". Ich fand es fantastisch, es war völlig experimentell. Und lustig. (Ray Manzarek, Organist/Keyboarder der Doors, in seiner Autobiografie "Jim Morrison, die Doors und ich")
Wir schreiben das Jahr 1963, Aufbruchstimmung hat die USA erfasst. Im Weißen Haus sitzt mit John F Kennedy ein jugendlich wirkender Präsident, die Rassenschranken in den Südstaaten beginnen zu fallen. Parallel dazu wächst, von der breiten Öffentlichkeit noch unbeachtet, der Kern einer neuen Pop- und Jugendkultur heran. In Los Angeles erfindet sich Jim Morrison neu, als Künstler ohne Vergangenheit. Sein Bruch mit dem früheren Leben ist radikal. Er besitzt nicht viel mehr als die Kleidung, die er auf dem Leib trägt. Und Bücher. Schon in der Schule hat er alles verschlungen, was ihm in die Hände fiel.
Ein neuer Mensch werden, allen Ballast abwerfen – das ist neben dem Vaterkonflikt das zentrale Thema von Morrisons Texten. Mit den Doors und erst recht als er beginnt, sich von ihnen zu emanzipieren. Nicht umsonst nennt er seinen ersten Lyrikband "The Lord and the New Creatures" – der Herr und die neuen Geschöpfe.
"Sich selbst hervorbringen als eine neue Kreatur, das stammt ja interessanterweise aus herätischen Formen des Christentums. Jim Morrison hatte als Jugendlicher eine Phase, wo er sich für die Kirche geradezu begeistert hat. Dann hat er überlegt: Nein, Kirche, das ist Gängelung. Und diese Rede von der neuen Kreatur, die gab es in der frühen Reformation, wo Abtrünnige viel riskiert haben, was Kriegsverweigerung anging, Gewaltverweigerung." (Thomas Collmer)

Thomas Collmer: "Pfeile gegen die Sonne: Der Dichter Jim Morrison und seine Vorbilder"
1000 Seiten, 4. Auflage 2009, ISBN: 978-3875121544, Preis: 39,00 Euro
Während andere Biografen den Sänger der Doors im Kontext der Rockmusik portraitieren, spürt Collmer in dem Doppelband "Pfeile gegen die Sonne" seiner Dichtkunst und ihren Ursprüngen nach und versucht so, dem Menschen Jim Morrison näher zu kommen.

Ende 1965: Die Band "The Doors" hat ihre Besetzung gefunden. Robbie Krieger, ein introvertierter Teenager mit hohem Haaransatz, spielt Gitarre. Und der schüchterne John Densmore mit den markanten Wangenknochen der Schlagzeuger der Band Ray Manzarek hat die Beiden in einem Kurs für transzendentale Meditation kennen gelernt. Weil sie keinen geeigneten Bassisten finden, spielt Manzarak die Bassläufe auf seiner Orgel Sein flirrendes Keyboard-Spiel prägt den Sound der Doors, ebenso wie Robbie Kriegers vom Flamenco beeinflusster Gitarrenstil. Immer wieder fließen jazzige Elemente ein, vor allem in den Soli. Nicht wild und ausufernd, sondern knackig und punktgenau gesetzt.
Im Frühjahr 1966 haben die Doors ihr erstes Engagement im London Fog, einem Club auf dem Sunset Boulevard in West Hollywood. Die Bezahlung ist mickrig: zehn Dollar pro Mann und Abend. Dafür muss die Band von 21 bis 2 Uhr nachts spielen: fünf Sets à 55 Minuten mit einer kurzen Pause dazwischen. Vor Zufallspublikum, wie sich John Densmore in seiner Autobiografie "Mein Leben mit Jim Morrison und den Doors" erinnert.
"Dann trat sie durch die Tür des London Fog. Pamela Courson. Mit Sommersprossen, rotem Haar und milchweißer Haut. Ein bisschen naiv und unschuldig, aber mit einem Funkeln in den Augen." (Ray Manzarek)
"I looked at you
You looked at me.
I smiled at you
You smiled at me.
And we're on our way
No, we can't turn back, babe
Cause it's too late
Too late
Too late.”
"John Densmore war der erste, der sie sah. Nach unserem ersten Auftritt setzte er sich an ihren Tisch, bestellte einen Brandy Alexander im Milchshake-Format – sein Lieblingsgetränk – und begann, Pam anzubaggern. Jim war an der Bar und hatte von der ganzen Sache nichts mitgekriegt; er unterhielt sich mit Jesse, dem Inhaber des Clubs. Nach dem Auftritt stürzte John von der Bühne hinüber zu Pams Tisch... und sie war weg! Was für einen Enttäuschung! Aber zwei Tage später war sie wieder da. Und am Wochenende kam sie auch. Sonntagabend saßen John und Pam in einer der Nischen, redeten und lächelten sich an. Und dann glitt der Märchenprinz herüber, ganz ruhig, wie eine Wasserschlange in einer Lagune. Er biss Pam in den Nacken – und das war's. Ich glaube nicht, dass sie John überhaupt noch eines Blickes würdigte. Ihre Augen hingen an Jim... sie war verknallt." (Ray Manzarek)
Vielleicht war dieser Abend bereits der Anfang vom Ende der Doors. Oder zumindest der Moment, als das Band zwischen John Densmore und Jim Morrison erste Risse bekam. Das gemeinsame Leben findet zu Jim Morrisons Bedingungen statt. Er kommt und geht, wann er will, bleibt oft tage- und vor allem nächtelang weg.
"The killer awoke before dawn, he put his boots on
He took a face from the ancient gallery
And he walked on down the hall"
Hier spricht Jim Morrison aus, was auf Platte und bei späteren Auftritten immer nur mitschwingt: "Mother, I want to fuck you." Die Passage ist inspiriert von der Tragödie Ödipus des griechischen Dichters Sophokles. Nicht nur für den Schriftsteller und Philosophen Thomas Collmer ist "The End" das zentrale Stück in Jim Morrisons Lyrik. Und der Schlüssel zum Verständnis seiner Oeuvres.
"Es gibt bei Norman Oliver Brown, einem Autoren, der in der Psychoanalyse heute nicht mehr zu Rate gezogen wird, einen Satz, wo es heißt, man müsse das Es und das Ich im Kampf gegen die Realität zum Bündnis kommen lassen. Es gibt noch andere Sätze von Brown, besonders diesen: Vater seiner selbst werden. Brown definiert so den Kern des Ödipuskomplexes. Der Kern des Ödipuskomplexes sei das Begehren, Vater seiner selbst zu werden, sozusagen sich selbst hervorbringen als eine neue Kreatur. Das ist auch ein wichtige Metapher bei Morrison, die neue Kreatur, the Lords and the new creatures."
Break on through – der Durchbruch, aber wohin?
Aufnahme von Jim Morrison.
Jim Morrison: Diese frühe Aufnahme aus seinen jungen Jahren prägt bis heute sein Image.© imago stock&people
"This is the end
Beautiful friend
This is the end
My only friend, the end
It hurts to set you free
But you'll never follow me
The end of laughter and soft lies
The end of nights we tried to die
This is the end"
Im Herbst 1966 erscheint die erste LP der Doors. Darauf auch "The End", 11,5 Minuten lang. Allein das ist ungewöhnlich für eine Zeit, in der Popsongs auf eine Länge von drei, maximal vier Minuten kommen. Ungewöhnlich ist auch die Thematik des Songs. Statt wie andere 23-Jährige über Liebe zu singen, ersehnte, erfüllte, vergebliche oder verflossene, ergeht sich Jim Morrison in düsteren Bildern. Damit ist er sehr zum Bedauern seiner Mitmusiker die Antithese zur Hippiebewegung.
"The End" handelt von drei Dingen: Sex, Tod und Reisen. Mit der Interpretation, dass Sex eine Möglichkeit ist, den Tod zu erreichen? Man kann das so verstehen, aber auch anders herum ergibt es Sinn. Das Grundthema ist dasselbe wie bei "Light my fire", die Befreiung vom ewigen Kreislauf aus Geburt, Orgasmus und Tod. Wodurch? Durch den Tod?" (Jim Morrison)
In "The End" deutet sich auch die eklektische Struktur von Jim Morrisons Lyrik an. Er mischt griechisches Drama mit aztekischer Mythologie, gewürzt mit einer Prise Kerouac. Ödipus trifft auf die große Weltschlange und die Freiheitsprosa des Beatnik-Schriftstellers. Assoziativ und übergangslos wechselt Morrison die Perspektiven, ist Vater, Mutter, Killer und der Reisende ohne Ziel in einer Person. Live sollte er dieses Prinzip in dem Song "The Unknown Soldier" auf die Spitze treiben, indem er als Kommandant eine Erschießung anordnet, sich als Getöteter theatralisch zu Boden wirft und dann aufspringt und das Ende des Krieges verkündet.
Trailer zum Filme "The Doors" von Oliver Stone (1991) auf Youtube:
"Break on through" ist der zweite zentrale Song auf dem Debütalbum der Doors. Ein Lied wie eine Verheißung, vom Durchbruch in eine andere Welt. Wenn der amerikanische Traum keine Möglichkeiten mehr ließ, neues Land zu erobern, dann musste das El Dorado in irgendeinem Jenseits zu finden sein, in einer imaginären Welt, der Welt des Rock'n'Roll, der Poesie und der alles verzehrenden Liebe. So hatten es sich Ray Manzarek und Jim Morrison damals in der Anfangsphase der Band am Strand von Venice vorgestellt – jedenfalls in den Erinnerungen des Organisten der Doors.
Jim Morrison hat sich dabei die Rolle des Schamanen zugedacht: "The gate is straight", das Tor ist weit offen – er würde voraus gehen, alle anderen müssten ihm nur noch folgen. Aber ein Kritiker bringt das Dilemma der Doors schon damals, ganz zu Anfang, auf den Punkt: Der Durchbruch zur anderen Seite ist das eine, die Gefahr der Entfremdung das andere – dann nämlich, wenn niemand dem selbst ernannten Schamanen folgen mag, wenn er sich als Stellvertreter für seinen Stamm in die Welt des Imaginären begibt und den Weg zurück nicht mehr findet. Dann wird es drüben freudlos und einsam. Der Rebell isoliert sich selbst.
v.l.:Ray Manzarek (Hammond-Orgel), Jim Morrison (Sänger), John Densmore (Schlagzeug) und Robby Krieger (Gitarre), die legendäre US-Rockgruppe "The Doors", bei Fernsehaufnahmen vor dem Frankfurter Römer. Undatierte Aufnahme. | Verwendung weltweit
Ray Manzarek (Hammond-Orgel), Jim Morrison (Sänger), John Densmore (Schlagzeug) und Robby Krieger (Gitarre© Manfred Rehm
Was der Kritiker nicht ahnen konnte: Die Entfremdung betrifft auch die Doors selbst. Schon kurz nach Erscheinen des ersten Album begann die Band, zu zerfallen. Nicht in ihre Einzelteile, das wäre notfalls zu verschmerzen gewesen, sondern in die Musiker auf einer Seite: Ray Manzarek, den Macher, den leicht autistischen Robbie Krieger, John Densmore, den wandelnden Minderwertigkeitskomplex. Und auf der anderen Jim Morrison, den Sänger, der sich als Dichter sieht. Nicht einmal seine Band ist ihm beim Durchbruch gefolgt.
"Wir alle haben Jim sehr gemocht, aber man kann nicht ständig einstecken. Auf Jim war kein Verlass, außer auf seine Unverlässlichkeit. Es ist schwer mit jemandem zusammenzuarbeiten, der nie für einen da ist. Jim hatte einfach kein Verhältnis zu den alltäglichen Pflichten, die jedes Geschäft mit sich bringt. Er lebte nur für sich selbst. Dabei war er noch nicht einmal egoistisch, er war einfach nicht in der Lage, sich einer Sache vollständig zu widmen." (Bill Siddons, Manager der Band)
Was Bill Siddons als alltägliche Pflichten beschreibt, lastet schwer auf der Band. Kaum ist die erste LP auf dem Markt, drängt die Plattenfirma auf ein Nachfolgealbum. Kein Problem zunächst, Songs sind reichlich vorhanden, noch aus den Zeiten auf dem Sunset Strip, als die Doors in Clubs wie dem London Fog und dem Whisky-a-Go-Go Abend für Abend bis zu fünf Stunden auf der Bühne standen. Ende 1968 werden die Spannungen innerhalb der Band immer augenfälliger.
"Not touch the earth" erscheint auf "Waiting for the sun", dem dritten Album der Doors. Eigentlich war der Song Teil des siebenteiligen Gedichts "Celebration of the Lizard" – die Feier der Eidechse. Mehrmals haben die Doors versucht, den gesamten Gedichtszyklus aufzunehmen, auch, um der Band neues kreatives Leben einzuhauchen und neues künstlerisches Terrain zu erschließen. Aber sind daran gescheitert.
"Lions in the street and roaming
Dogs in heat, rabid, foaming
A beast caged in the heart of a city
The body of his mother
Rotting in the summer ground
He fled the town
He went down South and crossed the border
Left the chaos and disorder
Back there over his shoulder
One morning he awoke in a green hotel
With a strange creature groaning beside him
Sweat oozed from it's shiny skin
Is everybody in?
The ceremony is about to begin."
"Was den Lizard King angeht, ist die Frage, wie positiv er eigentlich in "Celebration of the Lizard" dargestellt wird. Er ist einerseits ein Omnipotenzsymbol: Er könne die Erde ändern in ihre Bahnen und so weiter, er könne die blauen Autos verschwinden lassen, Polizeiautos nehme ich mal an. Einer Eidechse, sagt Nietzsche, wächst der verlorene Schwanz nach, nicht aber dem Menschen." (Thomas Collmer)
Tatsächlich findet die Eidechse einen gewaltsamen Tod: Sie verbrennt qualvoll unter der glühenden Sonne.
The highway to the end of the night: Von Miami bis Paris
Aufnahme des Sängers Jim Morrison.
Jim Morrison.© imago stock&people
"Es gibt über 200 Fotos von dem Konzert, auf keinem ist was zu sehen. Wenn Jim sich ausgezogen haben sollte, dann allenfalls für eine Zehntelsekunde. Er hat sich nur mit den Zuschauern über ihre Erwartungen unterhalten. Das ganze Gerichtsverfahren war ein abgekartetes Spiel." (Bill Siddon)
Es ist heiß und schwül in Miami, als der Prozess gegen Jim Morrison eröffnet wird. Aufgeheizt ist auch die Stimmung – im ganzen Land, nicht nur in Florida. In Philadelphia versucht die Stadtverwaltung, ein Konzert der Doors unter Verweis auf eine längst vergessene Rechtsvorschrift aus dem 18. Jahrhundert zu verbieten, in Las Vegas erscheint der Sheriff mit vier Blankohaftbefehlen zum Konzert der Band – für den Fall, dass etwas Anstößiges passiert.
Der Prozess grenzt an absurdes Theater, die Befragung des Angeklagten ist inquisitorisch: Hier sitzt ein prüdes, hinterwäldlerisches Amerika gegen eine Jugendkultur zu Gericht, die es nicht versteht und nicht verstehen will.
Am Ende wird Morrison vom Vorwurf der öffentlichen Trunkenheit frei gesprochen. Für obszöne Rede – auf dem Tonband sind zahlreiche Flüche zu hören - wird er zu 60 Tagen Straflager verurteilt, für öffentliche Entblößung kommen weitere sechs Monate hinzu.
Das Urteil ist skandalös. Am dritten Verhandlungstag hat der Richter die Geschworenen hinausgeschickt und der Verteidigung unmissverständlich signalisiert, dass er es als bewiesen ansähe, dass Morrison sich nicht entblößt hat. Die Anwälte des Sängers verzichten daraufhin, weitere Zeugen aufzurufen. Die Geschworenen aber erfahren nichts von der richterlichen Einschätzung - und sprechen Morrison einstimmig schuldig. Ein Trick, mit dem die Verteidigung ausmanövriert werden sollte.
Jim Morrisons Anwälte kündigen noch im Gericht an, in die Berufung zu gehen. Doch dazu sollte es nicht mehr kommen. Bis zu Morrisons Tod am 3. Juli 1973 wird das Verfahren nicht wieder aufgenommen werden.
"Er war ein sehr populärer Rockstar, ein Sex-Symbol geworden. Aber das alles genügte ihm nicht, im Gegenteil, er fühlte sich davon im Stich gelassen quasi, was seine eigenen Ambitionen anging. Er hat versucht, den Verwertungsbetrieb, der sich seiner bemächtigt hatte, er selbst hatte es ja herausgefordert, zu sprengen, also sich aus der Verwertbarkeit zu verabschieden. Der Film "Hwy"(https://youtu.be/6ojURx4Zdqc) ist ein gutes Beispiel, weil es sich um einen Emanzipationsversuch handelte. Historisch ist der Film ja wenige Wochen nach dem Miami-Debakel entstanden, nach diesem fatalen Konzert, als ihm der Prozess gemacht werden sollte, eine Pressekampagne gegen ihn losgetreten wurde. Danach hat er mit erstaunlicher Konsequenz versucht, zu retten, was für ihn noch zu retten war als Künstler." (Thomas Collmer)
Undatierte Aufnahme von Jim Morrison während eines Auftritts von The Doors.
Undatierte Aufnahme von Jim Morrison während eines Auftritts von The Doors. © picture alliance / dpa / Manfred Rehm
Der Film handelt von einem Typen namens Billy, der sich in Mexiko ein Mädchen kaufen will. Unterwegs mordet er. Jim Morrison taucht unter dem Wasserfall auf, schwimmend. Er richtet sich auf, blanker Oberkörper, tief sitzende Lederhose. Erotik und Geburt. Er geht an Land, über spitze Steine, wacklig, unbeholfen.
"Er hat geglaubt, in gewisser Weise unsterblich zu sein, indem er so vielen Menschen als Stellvertreter würde dienen können, als Connector, wie er so schön gesagt hat, ein Verbinder, jemand, der Verbindungsstellen fest schweißt, herstellt. Und jemand, der selber, da kann man auf den Film "Hwy" zurückgreifen, auf eine Reise geht, wo er sich als Anhalter mitnehmen lässt und dann selber das Steuer übernimmt. Das ist im Grunde sehr ausdruckskräftig für das, was er gelebt hat, es ist im Grunde eine Art symbolischer Selbstmord. Er wollte ja immer der Fahrer sein, als Rockstar. Und der Fahrer ist eine typisch Vatermetapher." (Thomas Collmer)
In "Hwy", dem Film, den Jim Morrison mit drei ehemaligen Kommilitonen von der Filmakademie der University of California gedreht hat, liegt ein angefahrener Coyote auf der Fahrbahn. Das Tier jault jämmerlich. Eine Frau und ein Mann knien vor ihm nieder, trauen sich aber nicht, es zu berühren. Jim Morrison steht abseits, stocksteif. Ein Schritt nach vorn, dann stoppt er wieder ab. Er will etwas unternehmen, kann sich aber nicht überwinden. Oder er weiß nicht was. Ohnmacht.
Im Frühjahr 1971 erscheint "L.A. Woman", das letzte Studioalbum der Doors mit Jim Morrison. Eine düstere Platte, mit schweren, beklemmenden Blues-Songs. Gut vier Jahre nach ihrem Debütalbum klingt die Band wie frühzeitig gealtert, allen voran Jim Morrison. Seine Stimme ist hinüber, optisch wirkt er mit den langen, bereits leicht ergrauten Haaren und dem Vollbart wie ein Mann jenseits der 40. Mit "L.A. Woman" sind die Doors Geschichte. Nach dem Ende der Aufnahmen verkündet Jim Morrison seinen Ausstieg - so jedenfalls stellt es Bill Siddons dar, der Manager der Band.
Nachdem "L.A. Woman" fertig gestellt ist, siedelt Jim Morrison mit seiner Freundin Pamela Courson nach Paris über. Seine Gedanken kreisen um Rimbaud und Baudelaire, das Paris der Dichter des späten 19. Jahrhunderts, ein Paris, das Hemingway und Fitzgerald in den 1920er-Jahren fasziniert und inspiriert hat. Aber wir schreiben das Jahr 1971.
Morrisons Grab auf dem Pariser Friedhof Pere Lachaise.
Morrisons Grab auf dem Pariser Friedhof Pere Lachaise.© picture-alliance / dpa / EPA / AFP
In Paris zieht Jim Morrison mit Saufkumpanen durch die Bars des Montmarte und des Quartier Latin – nichts anderes hat er die letzten Jahre in Los Angeles getan. Das neue Leben ist das alte, nur an einem anderen Ort. Bis zum 3. Juli 1971.
"Morgens um halb fünf klingelt ein Telefon. Der Chef unserer Plattenfirma in England ist dran. Ich frage: "Was ist los Clive?" Er antwortet, dass ihn drei verschiedene Reporter angerufen und ihm berichtet hätten, dass Jim tot sei, ob ich etwas wüsste. Ich rief sofort einen Typen in Paris an, von dem ich wusste, dass er mit Jim und Pam in Kontakt stand, aber er war nicht da. Es war halb fünf, ich ging wieder ins Bett, schlief bis acht und telefonierte herum. Gegen zwölf erreichte ich Pam. Sie wollte mir erst nicht sagen, was passiert war, aber ich sagte: Pam, ich bin dein Freund. Ich vertrete dich und Jim, sonst niemand. Ich setze mich ins Flugzeug, morgen früh bin ich bei dir. Vertrau mir, ich will dir helfen. Und das habe ich auch getan." (Bill Siddons)
Sechs Tage nach seinem Tod wird Jim Morrison in aller Stille beigesetzt. Niemand außer Pamela Courson und dem Notarzt, der den Totenschein ausgestellt hatte, haben den Leichnam gesehen.
Ray Manzarek, Robbie Krieger und John Densmore veröffentlichten noch zwei Alben unter dem Bandnamen The Doors, bevor sie die Band 1973 auflösten. Die Platten, schreibt ein Kritiker im Rückblick, offenbarten sie als die Fliegengewichte, die sie in Wirklichkeit waren und machten so noch einmal mit Nachdruck deutlich, welche maßgebliche Rolle Jim Morrison in der Band gespielt hatte.
Und Jim Morrison? Er ist nicht wieder auferstanden, sondern zu einem der populärsten Untoten der Rockgeschichte geworden. Alle paar Jahre schmückt er das Titelbild einer Zeitschrift, meist in der Jesus-Pose, in der er sich ganz zu Anfang der Doors hat fotografieren lassen, alle paar Jahre wird der Kult um den Lizard King mit einem Film erneut angefacht.
Es gibt nur einen Weg zum ewigen Ruhm: den frühen Tod.
Eine Wiederholung aus dem Jahre 2013.

Produktion dieser Langen Nacht
Autor: Tom Noga, Regie: Sabine Fringes, Redaktion: Dr. Monika Künzel, Sprecher: Ole Lagerpusch, Achim Buch, Thomas Krause, Winnie Böwe, Oliver Brod, Norman Matt, Heikko Deutschmann, Frauke Poolmann, Webvideo- und Webproduktion: Jörg Stroisch

Über den Autor:
Tom Noga ist freier Journalist in Köln. Er studierte Rechtswissenschaften an der Ruhr-Universität in Bochum , arbeitet unter anderem für "Die Zeit", "Stern" und für WDR, SWR, BR und Deutschlandradio. Sein Schwerpunkt liegt auf gesellschaftlichen und sozialen Themen aus den USA und Lateinamerika. 2012 erhielt er für seine Lange Nacht "The Crazy Never Die" über Hunter S. Thompson den Deutschen Radiopreis.