Joachim Blüher, ehemaliger Direktor der Villa Massimo

"Wenn ich den anderen lasse wie er ist, bin ich reich"

32:54 Minuten
Das Foto zeigt Joachim Blüher, den ehemaligen Direktor der Villa Massimo in Rom.
Präsentierte Deutschland als ein leichtes und gastfreundliches Land, und das in Italien! Joachim Blüher, ehemaliger Direktor der Villa Massimo, jetzt im Ruhestand. © Copyright: Alberto Novelli
Joachim Blüher im Gespräch mit Gisela Steinhauer · 08.08.2019
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Über 17 Jahre war Joachim Blüher "direttore" der Villa Massimo in Rom. Die Institution pflegt den Austausch zwischen Italien und Deutschland. Unter Blüher wurden nicht nur Künstler, sondern auch Handwerker eingeladen. Nun ist er zurückgekehrt.
Ein wenig wehmütig ist Joachim Blüher schon, dass er das römische Leben nun in ein Bonner Dasein als Ruheständler eingetauscht hat. "Ich bin jetzt drei Wochen zurück und manchmal schlucke ich schon ziemlich bei den Deutschen. Die Regeln, dieses Einnorden, dieses Besserwissen, dieses 'Ich will dir das mal erklären' – das gibt es alles in Italien nicht."
Wenn der routinierte Motorradfahrer, der jahrelang durch Rom bretterte, nun durch Bonn fährt, stößt er sich zum Beispiel an den zahlreichen Verkehrsregeln und der Art und Weise, wie er gemaßregelt wird. Noch fühlt er sich hier wie ein Ausländer.

Stipendiaten aus allen Bereichen, auch dem Handwerk

Die Villa Massimo, zwischen 1910 und 1914 vom Berliner Unternehmen und Mäzen Eduard Arnhold erbaut, ist eine feine Adresse in Rom. Vorbild ist die Villa Medici, 1666 unter Ludwig XIV. gegründet. Die Stipendiaten kommen aus den Bereichen Bildende Kunst, Literatur, Musik und Architektur und verbringen ein Jahr in den großzügigen Ateliers.
Joachim Blüher beschloss, auch "Praxisstipendien" zu vergeben. Sieben Wochen kommen dann Kreative aus praktischen Berufen nach Rom: Typographen, Organisten oder Bühnenbildner. Sogar ein Bäcker war darunter.
"Das war nicht einfach. Dieser Bäcker kam nach Rom, und wir hatten einen Korrespondenzbäcker für ihn gefunden. Der zog hier ein mit seinem Sack Mehl aus Deutschland und probierte italienische Brötchen aus, und umgekehrt. Das Brötchen hatte ein Loch. Und es schmeckte gut. Das war für mich eine der wichtigsten Erfahrungen in der Villa Massimo: Wenn ich den anderen so lasse wie er ist, dann bin ich persönlich reich. Wenn ich versuche, ihn zu assimilieren, werde ich persönlich arm."

Bei ihm aßen die Italiener Heringssalat

Seit der promovierte Kunsthistoriker 2002 seine Stelle in Rom angetreten hatte, gelang es ihm im Lauf der Jahre, mit Sommerfesten, Ausstellungen, Konzerten und Lesungen auch die Italiener für die deutsche Kultur zu interessieren. Joachim Blühers Anliegen: Deutschland als ein leichtes und gastfreundliches Land zu präsentieren.
"Essen spielte bei uns bei jeder Veranstaltung eine Rolle. Aber das Essen kam immer aus Deutschland, das habe ich auf anderen Wegen immer wieder besorgt. Es gab nur deutsche Schnitzel, deutsche Würste, deutschen Wein und deutsches Bier. Und Heringssalat. Der große Sieg der deutschen Küche ist, dass die Italiener Heringssalat gegessen haben. Das kann man überhaupt nicht mehr toppen."
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