Der Bundespräsident wird 75
Ein Dreivierteljahrhundert deutscher Geschichte: Nazi-Herrschaft, Zweiter Weltkrieg, DDR und BRD, Diktatur und Demokratie, das vereinte Deutschland. Bundespräsident Joachim Gauck hat all das erlebt - heute wird er 75.
Der Bundespräsident kann nicht aufhören, sich zu wundern und zu freuen. Über sich. Über sein Land. Über die Geschichte. Und über den Lauf der Dinge in seinem Leben, der ihn dahin geführt hat, wo er heute ist: ins höchste Staatsamt des wiedervereinten Deutschlands.
"So ein Mensch wie ich freut sich natürlich, wie jeder Mensch über Zuspruch und Unterstützung. Das ist das eine Thema. Aber dann ist man natürlich auch verwirrt und sagt sich: So schön bist Du nicht, und Du heißt auch nicht Beckenbauer. Und wo kommt das alles her? Was will das alles?"
Die heute 75-jährige Geschichte seines Lebens ist für Joachim Gauck eine Geschichte voller glücklicher Wendungen. Seine Eltern waren lange überzeugte Nationalsozialisten. Nach dem Krieg verschwand der Vater für Jahre in einem sibirischen Arbeitslager. In der DDR wird Gauck Pastor. Er gehört nicht zu jenen, die sich früh gegen das SED-Regime auflehnen, steht dem System aber kritisch gegenüber und öffnet seine Kirche in Rostock als Schutzraum für die wachsende Oppositionsbewegung.
"Das ist in der DDR in seinem Fall vielleicht nicht eine besondere Leistung, aber es ist etwas, was man akzeptieren muss als positives Element seiner Biografie",
sagt Johann Legner, langjähriger Mitarbeiter und Weggefährte, der im vergangenen Jahr eine kritisch-distanzierte Lebensbeschreibung Gaucks veröffentlichte. Der Zusammenbruch des SED-Staates riss Gauck - so schildert es der Biograf - aus einer persönlichen Orientierungskrise und katapultierte ihn in eine erstaunliche politische Karriere. Als Bundesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen ging er in die Geschichte und den Sprachgebrauch ein: Die Institution wurde zur "Gauck-Behörde", wer dort überprüft wurde, wurde "gegauckt".
Gefragter Staatsmann
Als seine Amtszeit 2000 endete, richtete sich Gauck vergnügt im Leben als hoch respektierter und viel gefragter edler Staatsmann ein. Selbst das Scheitern der ersten Kandidatur für das Amt des Bundespräsidenten 2010 empfand er geradezu als Glücksfall. Populär und angesehen wie nie fand er Zeit zum Bücherschreiben und für Daniela Schadt, die neue Frau an seiner Seite.
"Außerdem bin ich als Redner dauernd unterwegs, spreche über Freiheit und Verantwortung oder über Ossis und Wessis und dann erkläre ich auch immer mal wieder, dass die Demokratie besser ist als die Diktatur. Und ich werde nicht eher aufhören, diese Reden zu halten, bis es alle begriffen haben."
Zwei Jahre später, nach dem Rücktritt Christian Wulffs, staunt Joachim Gauck über die nächste wundersame Wendung seines Lebens:
"Ich komme aus dem Flieger und war im Taxi, als die Frau Bundeskanzlerin mich erreicht hat. Und ich bin noch nicht mal gewaschen und bin also vor ihnen. Und es schadet auch nichts, dass Sie sehen, dass ich überwältigt und auch ein wenig verwirrt bin."
Das Amt, das Gauck 2012 übernimmt, ist nach zwei Rücktritten seiner Vorgänger innerhalb von zwei Jahren schwer beschädigt. Gauck ahnt schnell, dass ihm das besondere Verantwortung und Selbstbeschränkung auferlegt.
"Ja, das wird weniger sein. Das, was ein Teil der Öffentlichkeit an mir schätzt und ein anderer Teil nicht mag, dass ich auch mal Ecken und Kanten zeige, das geht in der Weise nicht. Und nun muss ich mir eine Form erarbeiten, wo ich noch erkennbar bleibe."
Glückliche Wendungen
Gauck lässt sich Zeit, agiert vorsichtig und zurückhaltend. Das erste Jahr im Schloss Bellevue soll eine Phase der Heilung für das Amt sein. Dann - Anfang letzten Jahres - findet der Bundespräsident sein bislang stärkstes Thema: den Apell zu einer stärkeren internationalen Verantwortung Deutschlands. Er ist für Gauck Ausdruck eines tiefen, persönlich geprägten Vertrauens in dieses Land und die glücklichen Wendungen seiner Geschichte:
"Dies ist ein gutes Deutschland. Das beste, das wir jemals hatten. Ich meine, die Bundesrepublik sollte sich als guter Partner früher, entschiedener und substanzieller einbringen."
Als Mahner und Warner auf der internationalen Bühne kann Gauck auch wieder seine Ecken und Kanten zeigen. Seine Lieblingsgegner treibt der Bundespräsident in Rage:
"Was sagt unser Bundespräsident? Wir sollen noch mehr an Militäreinsätzen teilnehmen!",
erregt sich Gregor Gysi im Bundestag. Beim Staatsbesuch in Ankara stellt Gauck unbequeme Fragen zur Menschenrechtslage in der Türkei und reizt damit den damaligen Premier Erdogan:
"Man muss der Würde eines Staatsmannes schon gerecht werden. Er hält sich wohl immer noch für einen Pastor, denn er war ja mal einer. Aber das geht so nicht!"
Gaucks Sympathien sind bei denen, die um die Rechte und Freiheit ringen müssen, die er für sich selbst als Geschenke eines glücklich verlaufenen Lebens empfindet. Er kann sich darüber immer wieder freuen - und kaum etwas ärgert ihn so, wie das Unverständnis über diese persönliche und politische Lebensfreude:
"Deshalb missfällt mir zutiefst, wenn manchmal aus dem tiefen Westen in den Osten Europas so geschaut wird: 'Na ja, Ihr mit Euren Gefühlen.' Ja Pustekuchen!"