Neue Prägung und neue Wirkungsmacht
Als Staatsoberhaupt der Wirtschaftsgroßmacht Deutschland wird Joachim Gauck im Ausland mit Erwartungen und Forderungen konfrontiert. Das Licht, das aus dem Spiegel zurückstrahlt, den Gauck der Öffentlichkeit auf diese Weise vorhält, irritiert und blendet. Er selbst hat dabei seine Rolle gefunden.
Noch bevor er die erste Halbzeit im höchsten Staatsamt erreichte, hat Joachim Gauck dem Amt eine bemerkenswerte, neue Prägung verliehen. Sie betrifft und erweitert die Funktion, die dem Bundespräsidenten durch die Verfassung zugewiesen ist. Als seine erste Aufgabe nennt Artikel 59 des Grundgesetzes die völkerrechtliche Vertretung der Bundesrepublik nach außen. Aus diesem Verfassungsauftrag leitet sich die Repräsentationsrolle ab, die der Bundespräsident im Ausland übernimmt. Seit 1949 haben Theodor Heuss und seine Nachfolger einem zivilen, bescheidenen und seiner historischen Schuld bewussten Deutschland weltweit ein Gesicht gegeben.
Joachim Gauck hat sich in diese Tradition gefügt, sie aber zugleich um eine neue Dimension erweitert. Er bringt den Deutschen von seinen Reisen und Gesprächen im Ausland etwas mit – ein Bild des eigenen Landes, das nicht mehr deckungsgleich ist mit dem, das sie sich von sich selbst gemacht haben und mit dem sie sich sechs Jahrzehnte lang erfolgreich, zuweilen aber auch bequem arrangiert haben. Gauck versteht seine Aufgabe so, dass sein Repräsentationsauftrag noch nicht erfüllt ist, wenn sein Flieger nach Auslandsreisen wohlbehalten wieder in Berlin Tegel gelandet ist. Denn nach der Heimkehr versteht er sich hierzulande als Repräsentant jener Erwartungen und Forderungen anderer, mit denen er als Staatsoberhaupt der Wirtschaftsgroßmacht Deutschland andernorts konfrontiert wurde. Das Licht, das aus dem Spiegel zurückstrahlt, den Gauck der Öffentlichkeit auf diese Weise vorhält, irritiert und blendet. Gauck selbst hat dabei seine Rolle gefunden.
Aufgeklärter Patriot mit Freude an deutscher Identität
Er hat sie sich nicht ausgesucht. Sie ist mit den Krisen dieser Tage so unvermutet auf ihn zugekommen wie das höchste Staatsamt, dass er nach dem Scheitern seiner ersten Kandidatur gegen Christian Wulff schon beschwingt hinter sich gelassen hatte. So wie das Amt aber nimmt er jetzt auch die Rolle des Mahners in außenpolitischen Fragen gerne an. Das fällt ihm nicht schwer. Joachim Gauck ist ein aufgeklärter Patriot, dessen Vertrauen in sein Land sich aus den Erfahrungen der eigenen Biographie speist. Nach den unmittelbar erlebten Belastungen zweier Diktaturen hat sich die deutsche Geschichte für ihn nach 1990 zu einem ebenso politischen wie höchstpersönlichen Lebensglück gewendet. Er hat es nicht nur in Demut, sondern auch mit einer Freude an seiner nationalen, deutschen Identität angenommen, mit der er das Land anstecken möchte.
Oft wurde zu Beginn seiner Amtszeit geargwöhnt, Gauck könne für Angela Merkel, die seine Präsidentschaft einst zu verhindern suchte, ein Störfaktor werden. Im Augenblick aber ist das Gegenteil der Fall. In den außenpolitischen Debatten dieser Tage haben sich nicht nur die stärksten Fraktionen des Bundestages, sondern auch Präsident und Regierung zu einer großen Koalition der Staatsorgane zusammengeschlossen. Auch das verleiht dem Bundespräsidenten eine Wirkungsmacht, wie man sie diesem Amt schon fast nicht mehr zugetraut hatte, als er es vor zweieinhalb Jahren übernahm.