Joachim Gerhard: "Ich hole euch zurück. Ein Vater sucht in der IS-Hölle nach seinen Söhnen"
Fischer Taschenbuch, 2016
224 Seiten, 14,99 Euro
Als ich meine Söhne an den IS verlor
Sie sind 21 und 17 Jahre alt, als sie zum Islam übertreten. Vater Joachim Gerhard besucht die Moschee in Kassel und ist beruhigt. Wenig später kämpfen die zwei für den IS. Bis heute sucht Gerhard seine Söhne und hat darüber das Buch "Ich hole euch zurück" geschrieben.
Joachim Gerhard bittet in das kleine Büro hinter dem Empfangsraum seines Kasseler Maklerunternehmens. Der Mann um die 50 trägt ein blaues T-Shirt. Seine Augen wirken müde.
In den vergangenen zwei Jahren ist Joachim Gerhard kaum zur Ruhe gekommen. Er sucht beinahe pausenlos seine beiden Söhne, die Ende 2014 nach Syrien gezogen sind, um dem sogenannten "Islamischen Staat" zu dienen. Auch zwei Jahre nach dieser Entscheidung kommen Joachim Gerhard die Tränen, als er sich an den Moment erinnert, in dem sich die beiden per Videobotschaft aus Syrien von ihm lossagen:
"Ich fand das so schlimm. Ich frage mich heute noch – was haben die Menschen hier in Kassel geschafft, um den jungen Leuten den Kopf so zu verdrehen. Denn glauben sie mir, wenn sie die Jungs kennenlernen würden oder die Bilder sehen würden, das sind Jungs, die nie was mit Gewalt zu tun hatten, die Freude am Reisen hatten. Und auch wie schnell das ging, ich war fassungslos."
In den vergangenen zwei Jahren ist Joachim Gerhard kaum zur Ruhe gekommen. Er sucht beinahe pausenlos seine beiden Söhne, die Ende 2014 nach Syrien gezogen sind, um dem sogenannten "Islamischen Staat" zu dienen. Auch zwei Jahre nach dieser Entscheidung kommen Joachim Gerhard die Tränen, als er sich an den Moment erinnert, in dem sich die beiden per Videobotschaft aus Syrien von ihm lossagen:
"Ich fand das so schlimm. Ich frage mich heute noch – was haben die Menschen hier in Kassel geschafft, um den jungen Leuten den Kopf so zu verdrehen. Denn glauben sie mir, wenn sie die Jungs kennenlernen würden oder die Bilder sehen würden, das sind Jungs, die nie was mit Gewalt zu tun hatten, die Freude am Reisen hatten. Und auch wie schnell das ging, ich war fassungslos."
Kasseler Salafistenszene
Joachim Gerhards Maklerbüro ist in einem flachen Backsteingebäude untergebracht – in einem Hof hinter einem alten Mehrfamilienhaus in einem Multi-Kulti-Viertel nicht weit von der Uni. Vor dem ebenerdigen Büro-Eingang Gartentisch und Stühle. Hinterhofgemütlichkeit. Bevor seine beiden Söhne nach einigen Jahren Schauspielstudium und Lehre in Berlin in den Dschihad ziehen, arbeiten sie noch einige Monate im Maklerbüro ihres Vaters. Die Eltern der beiden jungen Männer sind seit langem getrennt. Die Rückkehrer aus der Hauptstadt leben in Kassel in der Wohnung des Vaters. Bald fühlen sich Gerhards Söhne und einige ihrer Freunde immer stärker von der Kasseler Salafistenszene angezogen:
"Und selbst die Abschiedsbriefe, da steht ja nichts Radikales drin. Nur alles mit Liebe und dankbar, dass sie sich bedanken wollen und alles. Und es tut ihnen leid, aber für ihren Weg, sie müssen da jetzt hingehen. Und sie wollen dort nach dem Glauben leben und das tut halt richtig weh. Und dann fragt man sich immer, was ist da in Wirklichkeit passiert? Wo sind diese Leute, die so was verursachen?"
Diese Fragen lassen Joachim Gerhard seit zwei Jahren nicht ruhen. Immer wieder fährt er an die türkisch-syrische Grenze, um nach seinen beiden Söhnen zu suchen. Anfangs hat er noch Telefonkontakt, versucht sie zu treffen. Vergeblich. Als er dann dabei hilft, einen anderen Jugendlichen, der zurückkehren will, aus dem IS-Gebiet herauszuschmuggeln – hat das Folgen. Der Kontakt zu seinen Söhnen bricht ab.
"Dann habe ich dann irgendwann donnerstags morgens um 4.18 oder 4.19 Uhr – bimmelt mein Handy am Bett und dann bin ich sofort aufgesprungen und habe mich riesig gefreut. Bis ich halt die Propagandavideos gesehen habe, das waren zwei Lossagungen. Da mussten sich beide lossagen, dass ich jetzt ihr Feind wäre, nicht mehr ihr Vater wäre, weil ich jemandem geholfen hätte da rauszukommen."
"Und selbst die Abschiedsbriefe, da steht ja nichts Radikales drin. Nur alles mit Liebe und dankbar, dass sie sich bedanken wollen und alles. Und es tut ihnen leid, aber für ihren Weg, sie müssen da jetzt hingehen. Und sie wollen dort nach dem Glauben leben und das tut halt richtig weh. Und dann fragt man sich immer, was ist da in Wirklichkeit passiert? Wo sind diese Leute, die so was verursachen?"
Diese Fragen lassen Joachim Gerhard seit zwei Jahren nicht ruhen. Immer wieder fährt er an die türkisch-syrische Grenze, um nach seinen beiden Söhnen zu suchen. Anfangs hat er noch Telefonkontakt, versucht sie zu treffen. Vergeblich. Als er dann dabei hilft, einen anderen Jugendlichen, der zurückkehren will, aus dem IS-Gebiet herauszuschmuggeln – hat das Folgen. Der Kontakt zu seinen Söhnen bricht ab.
"Dann habe ich dann irgendwann donnerstags morgens um 4.18 oder 4.19 Uhr – bimmelt mein Handy am Bett und dann bin ich sofort aufgesprungen und habe mich riesig gefreut. Bis ich halt die Propagandavideos gesehen habe, das waren zwei Lossagungen. Da mussten sich beide lossagen, dass ich jetzt ihr Feind wäre, nicht mehr ihr Vater wäre, weil ich jemandem geholfen hätte da rauszukommen."
Joachim Gerhard gibt nicht auf. Fährt trotz Reisewarnung sogar nach Syrien und durchsucht die Gefängnisse der lange Zeit von IS-Einheiten belagerten Grenzstadt Kobane, die von syrischen Kurden verwaltet wird. Die Kurden halten dort IS-Kämpfer gefangen:
"Da haben wir auch ein Mädchen gesehen aus Deutschland, die wird nach Deutschland ausgeliefert, die aus Rakka befreit worden ist. Die ist aus Frankfurt, die wird in den nächsten Monaten irgendwann nach Deutschland ausgeliefert. Mit der konnten wir uns auch kurz unterhalten. Die hat aber weder die Namen meiner Söhne gekannt noch den Mädchennamen von der, mit der mein kleiner Sohn verheiratet ist."
Treffen mit dem jordanischen König Abdullah
Obwohl deutsche Geheimdienste ihm sagen, sie glauben, seine Söhne seien tot, gibt Joachim Gerhard die Hoffnung nicht auf. Als der jordanische König Abdullah der Zweite und seine Frau Raina von seiner verzweifelten Suche erfahren, treffen sie sich überraschend mit ihm, sprechen ihm Mut zu:
"Sie sagten: sie müssen nicht wie ein Löwe losrennen und immer da hinfahren, das brauchen sie nicht, ich müsste praktisch warten wie ein Krokodil, bis die Beute praktisch zu mir ins Maul komme."
Jetzt hat Joachim Gerhard ein Buch über die Geschichte seiner Suche geschrieben. Darin reflektiert er auch über die Jugend seiner Söhne, über mögliche Erziehungsfehler – aber auch über Fehler, die der Staat möglicherweise in den letzten Jahrzehnten gemacht hat:
"Die haben den jungen Leuten eine gewisse Verantwortung weggenommen. Indem sie denen die Bundeswehr weggenommen haben, wo sie nach der Schule hin sind. Oder halt das soziale Jahr im Krankenhaus. Und dann sehen viele junge Leute erst einmal auf der Straße und fragen: Was machen wir jetzt? Wenn es in den 70er- und 80er-Jahren so einen IS gegeben hätte, wäre keiner hingegangen. Weil einfach das Bewusstsein der jungen Leute da war, wir müssen jetzt ein Jahr zur Bundeswehr oder wir müssen ein Jahr ins Krankenhaus gehen. Da war was da gewesen. Und dadurch sind wir ja alle erst gereift. Und das hat denen gefehlt. Das war vielleicht auch das, warum die vielleicht auch weg sind."
"Sie sagten: sie müssen nicht wie ein Löwe losrennen und immer da hinfahren, das brauchen sie nicht, ich müsste praktisch warten wie ein Krokodil, bis die Beute praktisch zu mir ins Maul komme."
Jetzt hat Joachim Gerhard ein Buch über die Geschichte seiner Suche geschrieben. Darin reflektiert er auch über die Jugend seiner Söhne, über mögliche Erziehungsfehler – aber auch über Fehler, die der Staat möglicherweise in den letzten Jahrzehnten gemacht hat:
"Die haben den jungen Leuten eine gewisse Verantwortung weggenommen. Indem sie denen die Bundeswehr weggenommen haben, wo sie nach der Schule hin sind. Oder halt das soziale Jahr im Krankenhaus. Und dann sehen viele junge Leute erst einmal auf der Straße und fragen: Was machen wir jetzt? Wenn es in den 70er- und 80er-Jahren so einen IS gegeben hätte, wäre keiner hingegangen. Weil einfach das Bewusstsein der jungen Leute da war, wir müssen jetzt ein Jahr zur Bundeswehr oder wir müssen ein Jahr ins Krankenhaus gehen. Da war was da gewesen. Und dadurch sind wir ja alle erst gereift. Und das hat denen gefehlt. Das war vielleicht auch das, warum die vielleicht auch weg sind."
Rückkehr zum Wehrdienst oder zum Zivildienst als Mittel gegen den IS? Auch Joachim Gerhard ist bewusst, dass das kein Patentrezept gegen Terror-Anwerber ist. Sein Buch wirft viele Fragen auf. Doch es ist vor allem der erschütternde Bericht eines Mannes, der nicht ruhen wird, bis das Schicksal seiner Kinder endlich geklärt ist.