Joachim Meyerhoff: "Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke"
Kiepenheuer & Witsch 2015
348 Seiten, 21,99 Euro
Auf jeder Seite muss man lachen
Joachim Meyerhoffs neuer Roman ist Teil eines autobiografischen Großprojekts. Dabei beschreibt der Burgschauspieler, wie er Künstler wurde und sein Ringen um seine Rolle im Leben. Es ist das Finale seines Romanzyklus'- ein furioser Abschluss.
Einmal hat Joachim Meyerhoff mit Stefan Derrick in der Sauna gesessen. Die Sauna befand sich in der Villa seiner Großeltern, die dem jungen Schauspieleleven in den gut drei Jahren seiner Ausbildung an der renommierten Münchner Otto-Falckenberg-Schule Herberge und Heimstatt war: ein Ort der Geborgenheit für diesen Mann um die Zwanzig, der noch mitten in der Selbstfindung steckte und sich als "konfuser Nullpunkt, ein wirres Irgendwas" wahrnahm.
Nett und nackt im Gespräch
An Horst Tappert hingegen, dem Freund seiner Großeltern, mit dem er sich "nett und nackt" in der großelterlichen Sauna unterhielt, konnte Meyerhoff, der noch nach seiner Rolle im Leben suchte, studieren, wie übermächtig so eine "Lebensrolle" mitunter werden kann: so groß, dass hinter der Fernsehfigur "Derrick" der sie darstellende Mensch fast verschwindet.
Exakt von diesem Ringen um seine Rolle im Leben und von seiner allmählichen Schauspielerwerdung erzählt Joachim Philipp Maria Meyerhoff im finale furioso seines großartigen autobiographischen Romanzyklusʼ, dem ein Zitat aus Goethes Werther den Titel gibt: "Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke, die ich hier in meinem Busen fühle."
Diese Lücke bildet zum einen sein durch einen Unfall aus dem Leben gerissener Bruder – ein früher Tod, den Meyerhoffs Blick nicht etwa trauerumflort, sondern "schonungsloser" hat werden lassen. Zum anderen sind seine Großeltern, die herrlich exzentrische Schauspielerin Inge Birkmann und ihr Mann, der nicht minder spleenige Philosoph Hermann Krings, jene Leerstelle, um die Meyerhoff in diesem hochkomischen und lebensklugen Buch kreist und die er erzählend zu füllen hofft.
Diese Lücke bildet zum einen sein durch einen Unfall aus dem Leben gerissener Bruder – ein früher Tod, den Meyerhoffs Blick nicht etwa trauerumflort, sondern "schonungsloser" hat werden lassen. Zum anderen sind seine Großeltern, die herrlich exzentrische Schauspielerin Inge Birkmann und ihr Mann, der nicht minder spleenige Philosoph Hermann Krings, jene Leerstelle, um die Meyerhoff in diesem hochkomischen und lebensklugen Buch kreist und die er erzählend zu füllen hofft.
Der Morgen beginnt mit dem Gurgeln von Enzianschnaps
Den beiden schmerzlich vermissten Alten stattet er das ab, was er "Gedankenbesuche" nennt. So ersteht vor unseren Augen ihr Leben wieder auf: ein Dasein voller alkoholgeschwängerter Rituale, das morgens mit dem Gurgeln hochprozentigen Enzianschnapses begann und abends mit der pünktlichen Einnahme des "Sechs-Uhr-Whiskys" noch längst nicht endete. Meyerhoff schafft es, einen auf nahezu jeder Seite zum Lachen zu bringen. Ihm gelingt, wenn er etwa die absurden Übungen an der Schauspielschule schildert (Stell Dir vor, Du bist ein Nilpferd, und sag mal bitte als Hippopotamus diese Sätze aus "Effi Briest"), feinste slapstick comedy.
Und doch ist das alles immer ernst, ja todernst grundiert. Denn der nachmals gefeierte Burgschauspieler haderte anfangs mit der Bühne: "Ich wollte auf der Bühne stehen und dabei nicht gesehen werden" - so paradox war ihm zumute. Als er 1987 eine Statistenrolle in Dieter Dorns "Faust"-Inszenierung an den Münchner Kammerspielen übernimmt, glaubt er ernsthaft, "eine meiner ganz großen Stärken" entdeckt zu haben: "mich auf offener Bühne zu verstecken". Nichts wäre verkehrter, als Joachim Meyerhoff diesen Traum von einem Leben im Inkognito als Koketterie auszulegen. Nur wenigen Schauspielern ist es gegeben, über ihren Beruf derart unverstellt und offen zu schreiben. Über dessen Tücken genauso wie über die Lücken, die das Leben reißt. Ein wunderbares Buch!