Joachim Meyerhoff: "Die Zweisamkeit der Einzelgänger"
Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2017
415 Seiten, 22.00 EUR
Der Künstler als Hampelmann
Zwischen zerknirschter Hemmung und tollkühner Hemmungslosigkeit: Charmant und selbstironisch schildert Joachim Meyerhoff im vierten Band seiner Autobiografie seine Anfangsjahre als Schauspieler. Höchst unterhaltsam und gute Literatur zugleich.
Das serielle Erzählen ist vom Film in die Literatur eingewandert, zumal in die autobiografische. Den Rekord hält der Norweger Karl Ove Knausgård mit einem 4500 Seiten umfassenden Romanzyklus, in dem er minimalistisch von seinem Leben berichtet. Diesen Umfang hat der Schauspieler Joachim Meyerhoff, seit 2005 Ensemblemitglied am Wiener Burgtheater, noch nicht erreicht. Aber beim vierten Band seiner Autobiografie ist er ebenfalls angelangt. Auch sie besitzt - wie das Mammutwerk des skandinavischen Kollegen - den Rang von Kultliteratur.
Die Schauspielschule - eine einzige Pleite
Meyerhoff-Leser haben die Kindheit des Autors kennengelernt, die sich auf dem Gelände einer schleswig-holsteinischen, von Meyerhoffs Vater geleiteten psychiatrischen Klinik abspielte. Sie nahmen an der Tragödie des Todes eines der drei Brüder teil und sie erlebten die Wohngemeinschaft des jungen Mannes mit seinen bildungsbürgerlich-exzentrischen und ungemein trinkfesten Großeltern in München, wo Joachim Meyerhoff die Schauspielschule besuchte und eine Pleite nach der anderen kassierte. Darum ging es im dritten Band.
Nun erscheint der vierte mit dem paradoxen Titel "Die Zweisamkeit der Einzelgänger". Er schließt chronologisch an den vorangegangenen Band an. Der Jungschauspieler hat ein Engagement am Stadttheater von Bielefeld und erfährt schon in seiner ersten Rolle, was ihm aus der Ausbildung bekannt ist: Dass er auf der Bühne eine peinliche Figur abgibt. Als er bei einem Leseabend Celans "Todesfuge" vortragen soll, wird er von einem hysterischen Lachanfall überwältigt - der den Leser ansteckt.
Der Meister des literarischen Slapsticks
Meyerhoff mag nicht der größte Romancier unter der Sonne sein. Aber er ist ein Meister des literarischen Slapsticks, zudem ein Autor, der die Kunst grotesker Selbstironie vor allem auf sich selbst anwendet. Dies ist der Grund des herzerwärmenden Charmes seiner Bestseller. Sie zeigen den Künstler als Hampelmann, als einen Mensch, der zwischen zerknirschter Hemmung und tollkühner Hemmungslosigkeit keine Balance findet und dessen Selbstbetrachtung sich vom Knausgård'schen Egopathos wohltuend unterscheidet.
Drunter und drüber gestaltet sich auch der Einstieg ins Liebesleben des Ich-Erzählers. Bis Mitte zwanzig verlief es zögerlich, ja zölibatär. Nun hat er es gleich mit drei Frauen zu tun. Da ist zum einen die vor Originalität und intellektueller Genialität überschäumende, aber auch unberechenbare und empfindliche Studentin Hanna in Bielefeld. Da tritt ein paar Monate später am Dortmunder Stadttheater die exzessive Tänzerin Franka ins Nachtleben des Mannes. Und schließlich verwickelt er sich in eine schwer zu definierende Amour mit der Bäckersfrau Ilse.
Moralisch und organisatorisch überfordert ihn das Liebesdreieck gewaltig. Aber seine Sehnsucht, endlich am Leben teilzunehmen und der Position des melancholischen Außenseiters zu entkommen, erfüllt sich. Die Trauer um verlorene Familienmitglieder und existentielle Verlustgefühle sind unter aller Komik immer spürbar. In dieser Ambivalenz liegt eine der Qualitäten von Meyerhoffs Autobiografie. Sie ist höchst unterhaltsam und für zahlreiche Leser Kult. Gute Literatur ist sie aber auch.