Joan Mitchell in Bregenz

Grandiose Werkschau einer abstrakten Expressionistin

Porträt von Joan Mitchell in ihrem Atelier in Vétheuil, 1983
Porträt von Joan Mitchell in ihrem Atelier in Vétheuil (1983) © Sammlung der Archive der Joan Mitchell Foundation / Robert Freson
Von Johannes Halder |
Große Formate, kraftvolle Gesten: Der Abstrakte Expressionismus amerikanischer Prägung war eigentlich eine reine Männersache. Aber es gab auch Frauen wie Joan Mitchell (1925–1992), die den malenden Machos Paroli boten.
Ihre Bilder sind groß, sehr groß, manche mehr als sieben Meter lang. Kaum 30 dieser riesigen Leinwände passen in die Ausstellungsräume im Kunsthaus Bregenz, wo ihnen der samtige Glanz der nackten Betonwände eine ideale Kulisse bietet. Manche Motive erinnern mit ihrem Gewimmel aus dicken und dünnen Pinselstrichen an Landschaften oder Bäume; farbige Schlieren und Schlenker formen sich zu Spuren der Natur, und oft wirken die leuchtenden Flecken, Kleckse und impulsiven Pinselhiebe so, als hätte jemand vor der Leinwand einen wilden, ungestümen Tanz vollführt.
Joan Mitchell war eine bemerkenswerte Frau, sagt Kurator Yilmaz Dziewior:
"Sie trank genauso viel wie ihre männlichen Kollegen, war auch in ihrem Sexleben ähnlich zügellos. Sie hat für sich eine Position behauptet, die eigentlich nur den Männern vorbehalten war."
Nicht nur, dass sie auch rauchte und fluchte wie ein Mann, Mitchell benahm sich häufig rücksichtslos und ruppig, verschreckte mit ihren Kommentaren Kollegen und Museumsleute und nahm sich überhaupt manche Freiheit.
"Und das muss man sagen, dass sie eine Figur war, eine Leitfigur, die all dies gemacht hat, bevor überhaupt die Emanzipation sich durchgesetzt hatte."
Für den Feminismus freilich ließ sich Joan Mitchell nicht vereinnahmen.
"Sie hat auch immer klar gemacht, ich bin keine lady painter. Sie hat gesagt, ihr geht es nicht darum, dass sie eine Frau ist, sondern dass sie in dem Medium Malerei arbeitet."
Und das tat sie. „Wenn ich nicht male, kann ich nicht atmen", sagte sie, und wenn sie dann malte, stürzte sie sich buchstäblich in einen Rausch.
Blick in die Joan-Mitchell-Retrospektive im Kunsthaus Bregenz
Blick in die Bregenzer Mitchell-Ausstellung© Joan Mitchell Foundation und Kunsthaus Bregenz / Markus Tretter
"Sie hat ja häufig nachts gearbeitet, und wenn ich mir vorstelle, dass diese Frau diese Leinwände alleine durch dieses Atelier getragen hat... Sie hat diese großen Leinwände auch ganz bewusst genommen, als Manifestation, dass sie genauso wie ihre männlichen Malerkollegen diese Formate beansprucht. Und man kann sich natürlich vorstellen, große Formate, die waren für das Museum bestimmt. Dass sie also schon sehr früh allein durch die Formatwahl die Behauptung aufstellte: ich bin eine Künstlerin für das Museum."
Wechsel von Dissonanzen und Harmonien
Beim Malen behielt sie trotz beachtlichen Alkoholkonsums stets die Kontrolle über den wirkungsvollen Wechsel von Dissonanzen und Harmonien, und wenn sie die Farben in genialer Intuition zu pastosen Kompositionen verschmierte, hielt sie den Rhythmus der Pinselschläge mit einer musikalisch inspirierten Sicherheit, die ihr im Blut zu liegen schien.
Man darf wohl sagen, ohne in Klischees zu verfallen, dass Joan Mitchell den Abstrakten Expressionismus um ein typisch weibliches Element bereichert hat, um eine lyrische Note, deren bezaubernde Leichtigkeit sie der Natur entlehnte.
"Sie ist aber auch immer von Literaten umgeben gewesen. Joan Mitchell war eng mit Samuel Beckett befreundet, die Biographin geht sogar so weit zu sagen, die beiden hatten eine Affäre. Also sie war sehr eng mit der Literatur verbandelt, Frank O'Hara war ein enger Freund von ihr. Das heißt also Literatur, vor allen Dingen Gedichte, haben sie beeinflusst, Musik hat sie beeinflusst; Natur ganz stark, die Atmosphäre, wie sie sich in den Landschaften verändert, wie sie aber auch die Stimmungen, wie sie sich in den Jahreszeiten verändert."
Mitchell war schon früh gependelt zwischen New York und Paris. 1959 zog sie endgültig nach Frankreich, später nach Vétheuil am Rand von Paris, wo auch Monet zu malen pflegte. Hier lockern sich die Bildräume spürbar auf und die Titel nehmen deutlichen Bezug zu Landschaftseindrücken: Felder, Fluss, Sonnenblumen, Wind. Gelegentlich fügt sie mehrteilige Malgründe zu großen Panoramen – eine Serie, die mit Monets Seerosenbildern rivalisiert.
Ein Leben im permanenten Ausnahmezustand
In zwölf Vitrinen dokumentiert die Schau auch Mitchells Leben: ihre Herkunft, gegen die sie rebellierte, die beachtlichen Wettkampferfolge der Jugendlichen als Eisläuferin und Turnierreiterin; wir sehen Skizzenbücher und illustrierte Gedichtbände, den Briefwechsel mit Samuel Beckett, die zahlreichen Hunde, die sie zeitlebens begleiteten, dazu Einladungskarten, Fotos.
Es ist ein Leben im permanenten Ausnahmezustand. Die Rücksichtslosigkeit, mit der sich Mitchell selbst ruinierte, hatte absehbare Konsequenzen. Geplagt von Alkoholismus und Arthritis, von Hüftbeschwerden und Krebsgeschwüren, hatte sich ihre Energie in der Malerei verzehrt.
"Diesen Kampf, den sie wirklich hatte, merkt man den Bildern nur auf den zweiten Blick an. Die wirken erstmal sehr leicht und farbenfroh und sehr lebensbejahend. Und das ist eigentlich schon etwas, was sie auszeichnet, die Bilder: dass sie wirklich etwas Lebensbejahendes haben."
"Merci" – danke, heißt eines ihrer letzten Bilder von 1992, dem Jahr, in dem sie starb. Ja, das war's. Aber was für ein Leben, und was für ein Werk!

Ausstellung im Kunsthaus Bregenz
noch bis zum 25. Oktober 2015,danach
vom 14.11.2015 bis zum 22.2.2016 im Museum Ludwig Köln
Weitere Infos auf der Website unter www.kunsthaus-bregenz.at