Joe Sacco: „Wir gehören dem Land“

Ein Comic über die Gräuel des Kolonialismus

18:47 Minuten
Auf dem Weg in ein neues Leben? Kanadas Regierung schickte die Kinder der indigenen Bevölkerung zur Schule – auch, um Einfluss zu gewinnen. Auf dem Bild winken Ranger die Kinder zu einem Wasserflugzeug.
Eine Szene aus Joe Saccos Comicreportage "Wir gehören dem Land" zeigt, wie Kinder der indigenen Bevölkerung in Kanada von kanadischen Rangern in ein Flugzeug gesteckt werden. © Edition Moderne
Joe Sacco im Gespräch mit Massimo Maio |
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Skrupellose Ölkonzerne und ein Staat, der den Indigenen ihre Kinder wegnimmt: In seiner neuen Comicreportage „Wir gehören dem Land“ beschreibt Joe Sacco eine besondere Form von Kolonialismus in Kanada. Dafür erhält er den Geschwister-Scholl-Preis.
Die Liste von Joe Saccos Geschichtsaufarbeitung ist lang: Für "Palästina" reiste Joe Sacco während der ersten Intifada durch Israel, Palästina und die besetzten Gebiete. Für "Bosnien" ging er als Kriegsreporter in die von serbischen Truppen eingekesselte Stadt Gorazde.
"Wir gehören dem Land", für den er als erster Comic-Künstler überhaupt den Geschwister-Scholl-Preis erhält, ist sein gezeichneter Bericht über die Dene, ein indigenes Volk in den Northwestern Territories Kanadas, dessen Leben durch die Gier der Erdöl- und Diamantenkonzerne bedroht ist.
Lange bevor die Entdeckung von Massengräbern weltweit die Öffentlichkeit aufschreckte, recherchierte Joe Sacco für diesen Band zur jahrzehntelangen Doktrin der kanadischen Regierung, indigene Kinder aus ihren Familien zu reißen, um sie in kirchlichen Internaten von ihrer Kultur zu entfremden.

Ein hartes, aber bereicherndes Leben

"Ursprünglich wollte ich das Verhältnis untersuchen zwischen Ressourcen, den Bodenschätzen in Kanada und der Beziehung zur indigenen Bevölkerung." Er habe aber schnell gespürt, dass die Geschichte sehr viel mit Kolonialismus zu tun hat, sagt Sacco.
Die kanadische Regierung habe versucht, Kontrolle über das Gebiet zu erlangen, indem sie versuchte, Kontrolle über die Besitzer zu bekommen, so Sacco. Die Bevölkerung wurde zum Christentum gezwungen. So wurde versucht, die Kultur der indigenen Bevölkerung zu zerstören.
Bei seinen Recherchen bekam Sacco einen guten Eindruck, wie Familien vor der Intervention der Regierung funktionierten: Jeder in der Familie hatte seinen Platz, "das hat ihnen eine gewisse Stärke verliehen". Und auch wenn das Leben in Zelten hart und fordernd scheint: "Es war bereichernd, dieses einfache Leben zu führen."
Der Comic-Zeichner Joe Sacco im Porträt, hier bei der Vorstellung seiner Arbeiten in Madrid. In der linken Bildhälfte sind Illustrationen zu sehen.
Gilt als Erfinder des Comic-Journalimus: Joe Sacco. © picture alliance / dpa / Sergio Barrenechea
Auch Sacco hat von der Sicht der Bevölkerung dort profitiert, wie er sagt. Seine Einstellung zu "Land" und Besitz hat sich seither verändert: "Es geht nicht um Besitz, kaufen, verkaufen." Indigene Völker hätten eine andere Einstellung, sagt er: Für sie besitzt man kein Land, sondern das Land besitzt einen.

Jeder versteht die Sprache des Comics

Sacco nutzt das Medium des Comics, um journalistische Geschichten zu erzählen. Er habe nach seiner journalistischen Ausbildung durchaus Zeitungsreporter werden wollen, sagt er. "Es gab aber keine Jobs."
Auf einer Reise in den Nahen Osten, beim Zeichnen, wurde ihm klar, dass das eine sehr journalistische Arbeit war. "Das fing vor 30 Jahren an und hat nie aufgehört", sagt er lachend.

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"Als Journalist geht man davon aus, man könne mit allen reden." Aber man werde auch durch Filter, Linsen betrachtet und auch mit einem gewissen Argwohn, sagt Sacco. Es gehe also darum, dass die Protagonisten Vertrauen fassen, "aber muss ihnen etwas zurückgeben können". Er habe ihnen daher das Buch geschickt.
Dafür verstehe jeder die Sprache des Comics, so Sacco. Bei einem Besuch im Gazastreifen konnte er den Protagonisten schnell verständlich machen, wie er arbeitet: Er hatte eins seiner früheren Werke über die Region im Schlepptau. "Man kann mit Comics Sprachbarrieren, aber auch kulturelle Unterschiede überwinden."

Joe Sacco gilt als Erfinder des Comic-Journalismus. Seine Reportagen aus Kriegs- und Krisengebieten wir Palästina oder Bosnien haben das Genre geprägt. Als erster Comic-Künstler überhaupt erhält er nun den Geschwister-Scholl-Preis für "Wir gehören dem Land".

Auch der Leser profitiert, findet er: "In dem Moment, wo er das Buch öffnet, ist er an einem gewissen Ort zu einer gewissen Zeit", sei es in Israel, Bosnien oder Kanada. "Der Leser bekommt sofort ein Gefühl dafür, er kann eintauchen."
Für ihn haben Comics sogar eine subversive Kraft, weil der Leser meint: Jetzt wird ja nicht so viel von mir verlangt. Viele hielten Comics für Bücher für Kinder, findet Sacco. Aber das birgt auch Chancen: So lassen sich viele Informationen transportieren.

Joe Sacco: "Wir gehören dem Land"
Editition Moderne, Zürich 2020
256 Seiten, 25 Euro

(ros)
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