Jörg Fauser zum 80.

Taumler, Zaungast, Zeitgenosse

Porträt des Schriftstellers Jörg Fauser während der Buchmesse 1985 in Frankfurt/Main.
Schreiben war sein Geschäft: Jörg Fauser soll sich auch für Yps-Hefte nicht zu schade gewesen sein. © imago / teutopress
Von Thomas Groh |
Jörg Fauser ist ein ewig wiederentdeckter Schriftsteller. Er bewegte sich irgendwo zwischen Underground und Popliteratur. Unser Autor nimmt den 80. Geburtstag zum Anlass, um zu erklären, was für ihn Fausers Reiz ausmacht.
Die alte Bundesrepublik. Eine nikotinvergilbte Welt, die sich aufspannt zwischen dunklen Eckkneipen und der G’schaftlhuberei der Politik und Wirtschaft in den Machtzentralen zwischen Bonn und Frankfurt, zwischen Hamburg und München. Die alte Bundesrepublik, vorderste Front im Kalten Krieg und damit gut geschützt vom Wohlwollen der Alliierten, insbesondere der Briten und Amerikaner, deren Musik übers Radio den jungen Leuten Flausen in die Köpfe setzt. Die alte Bundesrepublik - das sind die Gammler, die die Innenstädte bevölkern, die 68er, die in Berlin Rabatz machen, das sind die verruchten Bahnhofsviertel, in denen halbseidene Kinos der Pornografie den Weg bereiten, das ist eine Welt, in der erst Kommissar Keller, dann Derrick, schließlich "der Fahnder" in einschlägigen Milieus für Recht und Ordnung sorgten, derweil sich die alten Nazis hinter den Kulissen festsetzten. Na gut, Derrick-Darsteller Horst Tappert war ja auch bei der SS. Die alte Bundesrepublik - nennen wir es BRD Noir.
Die alte Bundesrepublik, das ist auch der Schriftsteller Jörg Fauser. Am 16. Juli 2024 hätte er seinen 80. Geburtstag feiern können, wenn, ja wenn er nicht 1987, einen Tag nach seinem 43. Geburtstag im Suff beim Überqueren einer Autobahn von einem Lkw erfasst und gestorben wäre. Fauser, der ewig Wiederentdeckte der westdeutschen Nachkriegsliteratur, der das Image des Außenseiters pflegte und zum Geschäftsmodell erhob, der gegen die "Kulturverweser" in den Feuilletons wetterte und gegen die Institutionen des Literaturbetriebs und dessen Säulenheiligen, insbesondere gegen das unstürzbare Triumvirat der deutschen Nachkriegsliteratur-Ödnis: Böll, Grass, Walser.

Reich-Ranicki: "Er gehört nicht hierher"

Der Literaturbetrieb rächte sich auf seine Weise: Legendär ist, wie Marcel Reich-Ranicki Fauser seinerzeit beim Bachmannwettbewerb in Klagenfurt vor laufender Kamera schlachtete: "Er gehört nicht hierher", gellte der Kritikerpapst damals. Fauser? Trugs mit Fassung.

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Aber Außenseiter? Gilt das noch immer? Immerhin hat Fauser es mittlerweile auf drei Werkausgaben in namhaften Verlagen gebracht, die letzte eben bei Diogenes. Und alle paar Jahre, wenn sich Todes- oder Geburtstag gerade jähren, kommen die Würdigungen im Kulturjournalismus, wo sich - klar, ich bin ja auch so einer - überall Fauser-Fans eingenistet haben - spätestens seit Ende des letzten Jahrhunderts, seit dem Hype um die Popliteratur (als deren heimlicher Vater oder zumindest Bezugspunkt Fauser zu Recht gedeutet wurde).
Keine schlechte Bilanz für einen, der zum etablierten Kulturbetrieb immer auf Distanz ging und Krawall machte, etwa in den Achtzigern, als er sich in einer TV-Runde dazu bekannte, Geschäftsmann, aber eben keine Edelfeder zu sein: "Writing is my business."

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Authentizität wichtiger als Ideologie

Unerhört, so etwas. Als Schriftsteller in Deutschland lebt man bekanntlich von Stipendien, Gönnern, Preisgeldern, von reichen Eheleuten und Familien. Aber gewiss nicht vom Verkauf der eigenen Bücher.
"Die Deutschen, das ist klar, das sind ja immer gleich Dichter und Denker", seufzte Fauser im selben TV-Gespräch. Und betonte, wie wichtig ihm statt richtiger Ideologie Erzählhandwerk und die Authentizität seiner Stoffe sind.
Letztere fand er in den Kneipen und den abgehängten Milieus. Oder - Fauser hatte als junger Mann in den Sechzigerjahren eine handfeste Junkie-Karriere hingelegt - im eigenen Leben. Ganz wie sein großes Vorbild, der US-Autor Charles Bukowski, an dessen breiter Bekanntheit in Deutschland Fauser durch ein großes Interview im Playboy 1977 durchaus seinen Anteil hatte. Als Redakteur von Underground-Zeitschriften hatte Fauser Bukowski zumindest in einschlägigen Zirkeln eh schon popularisiert.
Fauser, der breitbeinige Rebell also, so jedenfalls das alte Klischee. Es ist ja nicht ohne Reiz und in der muffelig-einsilbigen Verweigerungshaltung kann man sich ja auch gut einrichten, fürs Erste jedenfalls. Aber sie verliert mit der Zeit auch etwas an Glam. Dennoch kehre ich immer wieder zu Fauser zurück und kann nur jedem raten, sich in diese literarische Welt einzufinden. Warum?

Von "Rohstoff" zum "Schneemann"

Zum einen eben wirklich wegen der alten Bundesrepublik, ein verschwundenes, in vielem abgründiges, gerade deshalb oft faszinierendes Land. Mit Fausers Texten - seinen zahlreichen Kurzgeschichten und Erzählungen, seiner Handvoll Romane, aber auch mit seinen Reportagen und journalistischen Arbeiten - tritt dieses Land so plastisch vors Auge, dass man es fast riechen kann. Es ist sicher kein Zufall, dass Fausers bekannteste Romane - der Entwicklungsroman "Rohstoff" und sein Kriminalroman "Der Schneemann" - kein festes räumliches Zentrum haben, sondern auf verschlungenen Pfaden durch diesen eher länglichen denn breiten Streifen Land führen, der sich einst an den Eisernen Vorhang schmiegte.
"Rohstoff" erzählt dabei in Anlehnung an Fausers eigenes Leben die Geschichte des jungen Mannes Harry Gelb, der (wie Fauser) das Schreiben zu seinem Lebensinhalt erklärt, aber als erstes in den späten Sechzigern als Heroinjunkie in Istanbul landet (wie Fauser), nach Heimkehr nach Deutschland in den Strudel von 1968 gerät (wie Fauser), sich davon und den Drogen allerdings losseilt, miese Jobs annimmt (wie Fauser), die Kneipen für sich entdeckt und Schritt für Schritt als Autor Fuß zu fassen versucht (wie, Sie ahnen es, Fauser).
"Der Schneemann" hingegen handelt von einem windigen Verlierertypen, dem das Glück eine ansehnliche Menge Koks in die Hände spielt. Beim - der Deutschen Bahn sei Dank - durchs ganze Land führenden Versuch, das Zeug zu Geld zu machen, gleitet er zusehends in die Paranoia ab (Ja, es gibt da diese Verfilmung mit Marius Müller-Westernhagen. Nein, sie ist nicht gut. Lesen Sie den Roman. Gern geschehen.)

Verknappung und Verdichtung

Beide Romane leben von starken Szenen und Begegnungen, beide sind episodisch angelegt und bieten mit ihren wurzellosen Protagonisten hervorragende Möglichkeiten zu Erkundungsgängen in Milieus, die von kaum einem anderen Autor deutscher Sprache derart authentisch literarisch festgehalten wurden. Klar, es sind Beobachtungen aus erster Hand, Fauser schreibt über das, was er kennt. Und er kennt sich als Journalist und Redakteur bestens aus mit Verknappung und Verdichtung, mit Schreibe also nicht auf Strecke, sondern auf Zeile. Hier schreibt ein Autor, der lange an sich gearbeitet hat, der von der experimentellen Literatur eines William S. Burroughs, über die Underground-Literatur eines Bukowski schließlich beim No-Nonsense-Stil des Kriminalromans gelandet ist.
Das führt zum Zweiten, warum ich auch nach Jahren immer wieder zu Fauser zurückkehre: Ohne Fauser wäre ich heute wahrscheinlich alles Mögliche, aber niemand, der Ihnen heute diesen Text über Fauser schreibt. Sein "Rohstoff" kam genau zum richtigen Zeitpunkt in mein Leben: Ich war irgendwas Anfang bis Mitte 20, arbeitslos, auf der Warteliste für einen Studienplatz. Ich hing also im Biografie-Limbo rum, in subkulturellen und politischen Milieus, hohes Interesse an Underground-Kultur, eventuell auch mal Substanzen konsumiert, die auch heute noch nicht legal sind, Möbel vom Sperrmüll, bis zum gewissen Grad lebensuntüchtig und ohne irgendeinen Plan, wie ich mal Geld verdienen sollte, ohne unter die Räder zu kommen.

Fauser war sich für nichts zu schade

Und dann dieses Buch. "Rohstoff", das war einfach mein Buch. Mein Leben. Meine Blaupause. Eine dieser Lektüren, die einen wie ein Schlag treffen - nach zwei Tagen war ich durch, mit dem Buch, mit dem Leben, mit mir. So wie es dieser Harry Gelb macht, so wollte ich es auch machen: Sicher ein Verlierer sein, aber sich doch durchschlawinern, dem Leben auf der Spur, den Mittelfinger stets parat, irgendwie vom Schreiben leben - und wenn es im Brotjob ist. So macht es auch der Junkie Harry Gelb, der Junkie Jörg Fauser: einen Fuß in die Branche kriegen, netzwerken, beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk anklopfen. Für Gelb ist es der Hessische Rundfunk, für Fauser eine Vielzahl von Radiosendern, die seine Hörspiele und Radioessays über Literatur abnehmen. Wobei Fauser nichts kennt, was unter seiner Würde liegt - angeblich textete er auch mal aushilfsweise Sprechblasen fürs Yps-Heft.
Und ich? Nun ja, Sie lesen diesen Text auf der Website von Deutschlandfunk Kultur, nicht wahr?
Dabei ist es gerade keine Erfolgsgeschichte, die Fauser mit "Rohstoff" schrieb. Sein Harry Gelb ist eher ein Taumler, wie Fauser eher ein Zaungast und Zeitgenosse als ein wirklicher Player seiner Generation. Ein trotziger Melancholiker und Phlegmatiker. Ganz im Gegensatz zu dem Macho-Image, das viele Fauser-Bewunderer um ihn legen, ist er eher einer, der aufs Maul bekommt, statt selber auszuteilen.
So liegt Harry Gelb am Ende von "Rohstoff" auch tatsächlich vermöbelt im Rinnstein vor einer Kneipe und schaut betäubt aufs Gras, das durch den Asphalt treibt. Und dann kommt dieser eine letzte Satz des Romans, dieser Satz für die Ewigkeit, mit dem Fauser Generationen von Lesern, darunter mir, Mut gemacht, um auch in aussichtslosen Lebenslagen weiterzumachen:
"Wenn das so ist, dachte ich, kannst du auch aufstehn."
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