Kunst und Popmusik – eine Hassliebe
Der Berliner Kunstkritiker und Gitarrist Jörg Heiser beleuchtet in seinem Buch "Doppelleben" die Beziehung zwischen Kunst und Popmusik von den 60er-Jahren bis heute. Wenn Lady Gaga ein Albumcover von Jeff Koons gestalten lässt, ist das dann mehr als ein Marketinginstrument?
Der Berliner Kunstkritiker und Gitarrist Jörg Heiser hat ein Buch geschrieben über eine alte Hassliebe: Die Beziehung zwischen Kunst und Popmusik von den Sechzigerjahren bis heute. Ganz kurz denkt man: Crossover, Publikumserweiterung, das ist doch der Standard, Jeff Koons gestaltet für Lady Gaga das Cover und Hip Hop-König Jay Z bittet Marina Abramovic zum Video in die Galerie. Doch so denkt man zu kurz. Denn Heiser spricht diese Kollaborationen als Marketingwerkzeuge an, zeigt aber, dass die Kontextwechsel von Kunst zu Pop und zurück bis heute weder problemlos noch immer erwünscht sind.
Jackie Kennedy tanzt im Parkett
Am Anfang steht eine Amour fou: Andy Warhol und die Gruppe Velvet Underground im New York der Sechzigerjahre. Warhol war nicht nur der Grafiker der Band, der 1967 die Banane auf das Cover des Erstlingswerks gezeichnet hatte, sondern auch Produzent, etwa der "Exploding Plastic Inevitable"-Show, des ersten Versuchs, Pop, Kunst, Film, Licht und Party in einem psychedelischen Setting aufeinandertreffen zu lassen: Jackie Kennedy tanzt im Parkett, während Bergarbeiterkinder wie John Cale auf der Bühne stehen. Postmigrant Warhol stilisiert sich dabei nicht als Aufsteiger. Als Underdog königlich cool auszusehen, das prägt Warhols Factory: Pop ist ein Werkzeugkasten, um an Posen zu arbeiten, die Realitäten schaffen.
Krautrock, Kraftwerk und Joseph Beuys
In Deutschland hat man derweil Probleme mit den Oberflächen der Konsumkultur. Anti-Amerikanismus ist Teil der Schuldverschiebung, wie das auch Jörg Heiser nennt. Im Umfeld des westdeutschen Krautrock und von Bands wie Can aus Köln oder den frühen Kraftwerk aus Düsseldorf ist das nicht anders. Joseph Beuys oder Karlheinz Stockhausen, beides Überväter des Krautrock, halten wenig von Kontextwechseln und bleiben in ihrem Kunstverständnis alteuropäisch. Hier räumt Heiser auf mit einigen Klischees über Krautrock und Kunst. Wenn Kunst und Pop im selben Club tanzen, muss nicht neue Gattung entstehen.
Erst in den Achtzigerjahren sieht man viele echte Kontextwechsler. Eine Band wie F.S.K. mit der Künstlerin Michaela Meliàn und dem Schriftsteller Thomas Meinecke leiht Strategien wie uneigentliches Sprechen oder Anprobieren von Haltungen bei der Kunst - lernt aber schnell, wie sehr sich das Publikum an Kunstschulen und in Museen von jenem in Konzertlokalen unterscheidet. Die Trennung von Kunst und Musik bleibt.
Die Auflösung fester Genres
Erstaunlich, wie Heiser es oft schafft, abgetretene Pfade wie Warhol, Krautrock oder westdeutschen Punk dank klarem Fokus spannend zu erzählen. Begonnen hatte er sein Dissertationsprojekt schon vor 20 Jahren, was man dem Buch anmerkt – auch positiv, denn so kommt ein Wandel in den Blick: In den Neunzigerjahren erlebte die Kunstwelt eine Dürre, während es in der Popbranche Kokain für alle regnete – heute ist das umgekehrt. Doch nur mit Ökonomie lässt sich keines der untersuchten Phänomene erklären. Schon gar nicht die aktuellen wie Fatima Al Qadiri. Bei ihr sind Kunst und Musik keine festen Genres mehr, sondern nur noch Umrisse, wie in einem Tagtraum, jenseits von Herkunft, Klasse und Religion. Es ist der Ur-Traum von Pop.