Johann Hari: Drogen. Die Geschichte eines langen Krieges
S. Fischer, Frankfurt/Main 2015
448 Seiten, 24,99 EUR
Ein Krieg, der Elend anrichtet
Der englische Journalist Johann Hari leuchtet in "Drogen. Die Geschichte eines langen Krieges" den "War on Drugs" von verschiedensten Perspektiven aus. In seiner literarischen Reportage erzählt er die Geschichten von Dealern, Süchtigen und Kartellmitgliedern.
Drei Menschen stehen am Anfang des Buches des englischen Journalisten Johann Hari und am Anfang dessen, was man später als "War on Drugs" bezeichnen wird: Harry Anslinger, seit 1930 Chef des US-amerikanischen "Federal Bureau of Narcotics", Arnold Rothstein, "the genius of crime", wie ihn der Romancier Jerome Charyn nennt, der erste Gangster, der verstanden hat, dass organisierter Drogenhandel Mega-Profite abwirft, und Billie Holiday, die geniale schwarze Jazz-Sängerin, die zum prominentesten Opfer von Anslinger wurde.
Am Anfang steht ein geschickt ausgewähltes Trio
Dieses Trio ist wohlbedacht und geschickt ausgewählt, denn diese drei Personen konfigurieren ein Drama, das bis heute anhält und Hundertausende, wenn nicht Millionen von Menschen das Leben gekostet hat.
Der Reihe nach: Anslinger setzte in seiner Amtszeit den harten Kurs durch, nach dem Drogenbesitz, -konsum und -handel streng verboten und massiv bestraft werden. Über eine UN-Konvention gelang es ihm auch, dieses Prinzip international durchzusetzen, notfalls unter massivem Druck gegen Staaten, die dieser Linie nicht folgen mochten. Richard Nixons Erklärung des "war on drugs" und die Drogenpolitik von Reagan folgten dieser Linie, die auch heute noch in den USA (mit kleineren Ausnahmen) befolgt wird.
Arnold Rothstein steht für eine ganze Tradition von Organisierter Kriminalität, die, wie schon die Alkohol-Prohibition, auch die Drogen-Prohibition wärmstens begrüßt. Die Kriminalisierung von Drogen verschafft ihren Profit und kauft politischen Einfluss und Macht. Ihre Pfründe sichert sich das Organisierte Verbrechen mit blanker Gewalt, die Konkurrenz- und Verteilungskämpfe bringen ganze Staaten wie Mexiko an den Rand des Abgrunds.
Billie Holiday schließlich verweist auf den zutiefst rassistischen Ursprung der Drogen-Prohibition, die im Laufe der Jahrzehnte ganze Bevölkerungsgruppen – Schwarze, Latinos, Chinesen, zunehmend auch arme Weiße - kriminalisiert und damit gesellschaftlicher Teilhabe beraubt.
Hari ist um eine differenzierte Darstellung bemüht
Hari macht es sich aber nicht einfach. Für sein Buch hat er jahrelang recherchiert, sich mit allen möglichen Leuten aus allen beteiligten Gruppen unterhalten – mit Junkies, Dealern, Polizisten, mit Ärzten und Politikern, in Europa, Lateinamerika und den USA. Er fährt beeindruckendes Zahlenmaterial auf (alles belegbar, alle Interviews auf seiner Website nachhörbar) und er diskutiert das Pro- und Kontra von Prohibition ausführlichst, vielleicht manchmal ein bisschen zu rhetorisch, um dem Vorwurf der Einseitigkeit zu begegnen.
Und er zeigt Beispiele von Alternativen auf, die ansonsten keine große mediale und politische Lobby auf. Die geglückte liberale Drogenpolitik von Uruquay, die großen Erfolge der Portugiesen, das Schweizer Modell (ärztliche Kontrolle) und auch das einzelner amerikanischer Bundesstaaten, in denen jüngst zumindest Marihuana entkriminalisiert wurde. Alle genannten Konzepte befreien Menschen zwar nicht von Drogensucht, aber sie gehen vernünftig und human mit dieser Sucht um.
Natürlich ist das ganze Buch ein großes, leidenschaftliches und wütendes Plädoyer, sich eher den Ursachen - soziale Ausgrenzung und Isolation - und der Therapie zu widmen, statt weiterhin stur und starr einen "Krieg" zu führen, der immer mehr Elend anrichtet.