Johann Jakob Spreng, Nicolas Fink (Hrsg.): "Unerhörte Auswahl vergessener Wortschönheiten aus Johann Jakob Sprengs gigantischem, im Archive gefundenen, seit 250 Jahren unveröffentlichten deutschen Wörterbuch"
Verlag Das Kulturelle Gedächtnis, Berlin 2021
368 Seiten, 25 Euro
Bobern, Hesebese, Abersel
05:39 Minuten
Das Lebenswerk des Baseler Gelehrten Johann Jakob Spreng sollte das umfassendste Nachschlagewerk zur deutschen Sprache werden, blieb aber 250 Jahre lang unveröffentlicht. Der Germanist Heinrich Löffler hat diesen Schatz entdeckt und gehoben.
"Flubbern, unbedachtsam und unanständig herausplaudern": Er scheint die Lautmalerei geliebt zu haben, der Baseler Gelehrte Johann Jakob Spreng.
Zeitweise hielt er auch Vorlesungen zu Poesie und Beredsamkeit an der Universität Basel und war ganz sicher kein Hesebese oder Hitschenplitsch: "Hesebese oder Hitschenplitsch, einer, der bald hier bald da ist, als ob er eilig zu tun hätte."
Über 25 Jahre arbeitete Johann Jakob Spreng an seinem großen Werk, es sollte das umfangreichste Wörterbuch der deutschen Sprache werden und mehr Bände erreichen, mehr Quellen nutzen als alle vorherigen. Fast 100.000 Artikel verfasste Spreng dafür. Er hätte berühmt werden können, so berühmt wie später die Brüder Grimm.
Der Schatz in der Baseler Unibibliothek
Stattdessen landete Sprengs Zettelsammlung in der Baseler Universitätsbibliothek. Hier entdeckte sie der Germanistikprofessor Heinrich Löffler, der den sensationellen Fund wissenschaftlich aufbereitet. Bei der Recherche für seine kleine Auswahl in diesem Wörterbuch gewann Nicolas Fink als Herausgeber einen Eindruck von Sprengs akribischem Fleiß.
"Das sind 20 handschriftliche Bände und dann noch mal ein ähnlicher Umfang an Zetteln", erzählt er.
"Jedes Lemma, jedes Stichwort ist auf einen Zettel geschrieben, in Reinschrift, Kurrentschrift und das hat der Spreng dann eingeklebt in diese 20 Bände, soweit er eben gekommen ist, und dann gibt es noch eine riesige Masse, die haben die in der Universitätsbibliothek in Kuverts geordnet und dann noch digitalisiert. Also ich habe das als Digitalisate eingesehen."
Der liebevoll gestaltete Band aus dem Verlag Das Kulturelle Gedächtnis ersetzt jetzt die Handschrift durch Abbildungen von Händen, die eine Feder halten. Kunstvoll verschnörkelte Versalien eröffnen jedes Kapitel. Im Vorwort von Gabriel Schaffter kann man die abenteuerliche Geschichte des Werkes nachlesen.
Johann Jakob Spreng wurde 1699 in Basel geboren. Er studierte Theologie, war als Pfarrer und Hauslehrer tätig und lehrte schließlich an der Universität von Basel. Seine Leidenschaft aber galt dem Wörterbuch.
Systematisch sammelte er Begriffe aus Glossarien, Predigttexten, Tierlexika oder juristischer Fachliteratur: "Hundlege: das Recht eines Landsherrn, seine Jagdhunde bey den Untertanen, zuweilen auch in einem Kloster, einzulagern."
Sprengs großer Traum
Lateinische Wörter übersetzte Spreng ins Deutsche, aus Studenten wurden "Zuchtsöhne", aus der Akademie die "Erzschule". Er war der Erste, der auch seine Begriffsdefinitionen auf Deutsch schrieb. Sprengs Traum war es, die Forderung von Gottfried Wilhelm Leibniz umzusetzen und mit dem Wörterbuch die germanischen, die mittelhochdeutschen und mundartlichen Einflüsse auf die deutsche Sprache festzuhalten. Gleichzeitig sollte damit Deutsch zur Standardsprache in der Wissenschaft erhoben werden.
"Da geht es darum, dass man altes Sprachmaterial, das inzwischen nicht mehr benutzt wird, in die Gegenwart reinholt und wiederbelebt, brauchbar macht. Unter anderem für die Wissenschaft, was nicht immer so gut gelingt. Er hat ungefähr 1500 Komposita mit Mäuslein drin, also ein Kehldeckel-Mäuslein - und das sollen alles Muskeln sein."
Natürlich kann man die Blütenlese von Nicolas Fink nicht von A – wie "Abersel" bis Z wie "Zähne ausreissen" durchlesen: "Abersel, ein tummer, halbverrückter Kerl. Zähne ausreissen; eine gewisse Strafe. Wer in der Fasten Fleisch gegessen hatte, dem wurden die Zähne ausgerissen."
Viele schöne und anschauliche Wörter
Gefragt ist der schweifende Blick, der eher zufällig auf einem Begriff landet. Viele Wörter sind so schön und anschaulich, dass man sie wieder flottmachen und benutzen möchte.
"Wie eben bobern, das ist der gemächliche Gang eines Vogels, dann wunderbar, wie er das ergänzt, wodurch sie umso leichter zu schießen seien. Oder abgängig. Das benutze ich jetzt immer, wenn irgendeine Frucht auf dem Tisch, die mir irgendwie suspekt vorkommt, oder wo man den Alkohol rauszuriechen bekommt, das ist eine abgängige Frucht geworden."
Die Veröffentlichung des Wörterbuchs scheiterte zu Lebzeiten Johann Jakob Sprengs, weil sich nicht genug Subskribenten für die Finanzierung fanden. Es waren dann die Brüder Grimm, die das Standardwerk schrieben, das Wörterbuch der Deutschen Sprache – 100 Jahre später.
Im Vergleich dazu war Johann Jakob Spreng eben doch ein Vuschmunt: "Vuschmunt, schneller, hurtiger Mann."