Johann Karl Wezels vergeblicher Versuch, vergessen zu werden

Ich will ins Freie!

29:39 Minuten
Kupferstich eines Paares, das sich in den Armen liegt.
Titelkupfer zum dritten Band von "Herrmann und Ulrike" © Aus "Herrmann und Ulrike", erschienen in der Anderen Bibliothek
Von Wolfgang Hörner |
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Wiederentdeckt wird er seit 200 Jahren: Johann Karl Wezel (1747-1819) ist der wohl prominenteste Wiedergänger der klassischen Literatur. Der Ungebärdige hatte mit Goethe und Schiller wenig am Hut und überwarf sich mit Wieland. Wezel verfasste sehr bösartige und sehr komische Bücher und endete, als wär's ein Hollywood-Drehbuch.
Klassiker werden ist nicht leicht - Klassiker bleiben und das nicht nur zur Lebenszeit hienieden, sondern auch nach dem Tod, das ist zuweilen sehr schwer. Viele werden vergessen und bleiben es auf immer und ewig. Nicht so Johann Karl Wezel. Der wilde, ungebärdige Zeitgenosse von Wieland, Goethe und Schiller war schon zu Lebzeiten berühmt und etwas später, ebenfalls zu Lebzeiten, bereits wieder vergessen. Nur blieb er es nicht. Als ungemein produktiver Schriftsteller, Verleger, Forscher, Sonderling und noch so manches mehr wurde und wird er alle paar Jahrzehnte wiederentdeckt. Die sicher nicht letzte, aber jüngste Ausgrabung gilt einem einst sehr erfolgreichen Wezel-Werk: Die Andere Bibliothek präsentiert den monumentalen Roman "Herrmann und Ulrike" aus dem Jahr 1780 als Trouvaille, preist ihn als "Glanzstück des deutschen Bildungsromans", als "weites Panorama des ausgehenden 18. Jahrhunderts in Deutschland (..), einschließlich lebendiger Beschreibungen der damaligen Metropolen." Es ist der hundert-xte Auftritt des Johann Karl Wezel aus der Kulisse als lange zu Unrecht übersehener literarischer Schatz.
"Lasst mich raus!"
Wezel ist all den Rummel so leid! Seit seinem Tode 1819 weilt er im Reiche der ruhmvollen Unsterblichkeit, dem gähnend langweiligen, dem unsterbenslangweiligen, in Gesellschaft all der anderen Gipsköpfe und wird und wird und wird nicht vergessen von der Nachwelt. Also ruft der Untote, der schon zu Lebzeiten nicht säumte und zögerte, der vielerlei glücklich versuchte und noch mehr unglücklich, die für Entlassungen aus den heiligen Hallen der Klassiker zuständige Institution an: Das Gericht für Unsterblichkeitsrevision und verwandte Ruhmesangelegenheiten möge ihn, fordert er, endlich befreien aus dem Unsterblichkeitskerker und glücklich sterben lassen!
Ein unbedingt tödliches Maß an Langeweile
Solche Revision des Unsterblichkeitsurteils, wonach der Aufenthalt im Pantheon ewig währt, ist nach nach runden, am besten dreistelligen Jubiläen möglich, und Wezel, gestorben 1819, hat seit nun schon 200 Jahren einem Maß an Langeweile und Überdruss standhalten müssen, das ihn unter weniger klassischen Umständen binnen kurzem dahingerafft hätte. Freilich muss jeder des Lorbeers sattsam müde Antragsteller nachweisen, dass seine Spuren auf Erden sich mittlerweile gänzlich verflüchtigt haben und er restlos vergessen ist. Schlechte Aussichten für Wezel, der als feste Institution auf dem Gebiet des zu Unrecht vergessenen Genies gelten kann.
Seine unvergleichlich bösartigen, komischen und hocheigenwilligen Schriften und Romane werden alle paar Jahrzehnte unvermindert "bahnbrechend" genannt. In den letzten Jahren berauschen sich die Entdecker - Germanisten, Kritiker, Verleger, Sonderlinge aller Art - zudem an der bizarren Biographie dieses teilgenialen Schreckensmanns, dessen hölderlineskes Endes von Hollywoods besten Drehbuchautoren im Drogenrausch erfunden sein könnte. Gäbe es Wezel nicht, müsste ihn der Literaturbetrieb erfinden.
Verleumder, Scharlatane, Trittbrettfahrer
Aber Wezel ist der Unsterblichkeit unendlich überdrüssig: Er will nachweisen, dass sein Ruhm vor allem auf Entstellungen, Übertreibungen und Missverständnissen beruht. Statt seiner – so sein Revisionsantrag vor dem Hohen Gericht – sollen hinfort seine Verleumder im Walhallakerker sitzen: Zeitgenossen, die ihn verehrten, diverse Germanisten, die ihre Karriere auf ihm aufbauten, die nimmer endende Schar der Herausgeber seiner Werke und vor allem ein gewisser Arno Schmidt, den Wezel voller Inbrunst hasst. Vor Gericht entbrennt ein erbitterter Streit um Wezels Bücher "Belphegor", "Herrmann und Ulrike", "Wilhelmine Arend oder Die Gefahren der Empfindsamkeit" sowie "Meine Auferstehung". Und um Begriffe wie Ruhm, Ehre und Unsterblichkeit. Darf Johann Karl Wezel dahin gehen, wo er hinzugehen wünscht - ins Vergessen? Eine Gerichtsverhandlung.
(pla)
Das Manuskript zur Sendung finden Sie hier.

Es sprechen: Frank Arnold, Wolfgang Condrus, Wilfried Hochholdinger und Friedhelm Ptok.
Ton: Jan Fraune.
Regie: Klaus-Michael Klingsporn.
Redaktion: Jörg Plath.

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