Sein Buch "Wir sind dann wohl die Angehörigen" erscheint am 1. März 2018 bei Piper.
"Ich habe mir gar nicht vorstellen können, dass er das überlebt"
Als Jan Philip Reemtsma entführt wurde, war sein Sohn Johann Scheerer 13 Jahre alt. Gemeinsam mit seiner Mutter bangte er um das Leben seines Vaters. Diese Nöte, die er als Junge erlebt hatte, beschreibt Scheerer nun in einem Buch. "Das echte Leben ging ohne mich weiter", sagt er im Interview.
Als sein Vater, der Hamburger Sozialwissenschaftler und Millionenerbe Jan Philip Reemtsma, entführt wurde, war Johann Scheerer gerade mal 13 Jahre alt. 33 Tage lang bangte er mit seiner Mutter, der Psychoanalytikerin Ann-Kathrin Scheerer, um das Leben seines Vaters, erlebte ein Haus im Belagerungszustand und eine Familie unter ständiger Bedrohung. Ein Umgang mit dieser Situation musste erst gelernt werden.
"Die einzige Referenz, die ich hatte, waren Entführungsszenarien aus Büchern oder aus Filmen. Und das sind natürlich Kriminalgeschichten, die nie gut ausgehen. Ich habe gar keine Angst gehabt, dass er umgebracht wird – das war mir völlig klar. Ich habe mir gar nicht vorstellen können, dass es die Möglichkeit gibt, dass er das überlebt. Gleichzeitig habe ich auch gemerkt, dass, wenn ich mir eine gewisse Hoffnung erlaube, die Gefahr, dass diese Hoffnung enttäuscht wird, immer sofort auch kommt."
Angst, den Vater zu verlieren
Die Polizisten im Haus, die u.a. das Telefon überwachten bildeten für den 13-Jährigen eine "Sicherheit", Leute die wissen, was sie tun, während seine Mutter und er selber überhaupt nicht wussten, was sie als nächstes machen sollten. Neben der Angst, den Vater zu verlieren, stand die Angst durch diese neuen Lebensumstände auch den Anschluss an die Schule und an die Freunde zu verlieren. "Das echte Leben ging ohne mich weiter." Erst als der Mutter die Geldübergabe ohne Überwachung der Polizei gelang, kam Reemtsma frei.
"Direkt nach der Entführung hab ich das alles weggepackt und nie wieder darüber gesprochen und bin auch nie wieder darauf angesprochen worden. Selbstverständlich haben wir innerhalb der Familie viel darüber geredet. Immer wieder auch im Rahmen des Gerichtsprozesses gegen die Entführer war es natürlich Thema. Es ist nur so, dass das Erlebte meines Vaters sich deutlichst von dem unterscheidet, was meine Mutter und ich damals erlebt haben. Man hat nicht so richtig eine Gemeinsamkeit. Die Traumata sind dann doch so unterschiedlich, dass es ganz schwierig ist, letztgültig zu verstehen, wie es dem jeweils anderen ging."
Ein Riss zwischen ihm und der Welt
In einem Buch beschreibt er nun die Nöte des Jungen, der Angst um das Leben seines Vaters hat und den Riss, der seitdem zwischen ihm und der Welt klafft.
"Meine Idee, dieses Buch zu schreiben, ist für einen kurzen Moment in genau die Öffentlichkeit, in der diese Geschichte ist, zu gehen und sie zu entmystifizieren."
Auch wenn er nie direkt auf diese Geschichte angesprochen wurde, bekam Scheerer doch stets mit, dass etwas im Raum stand, worüber nicht geredet wurde, oder was dann in seiner Abwesenheit angesprochen wurde.
"Ich hab mir im Laufe des Schreibprozesses vorgestellt, dass dieses Buch diese ganze Situation besprechbar machen könnte."
Das Feld der Literatur und des Schreibens war eigentlich zuvor von seinem Vater besetzt.
"Mein Vater hat mich in Kindertagen genervt mit seiner Bücherliebe und jetzt schreibe ich ein Buch drüber – da wird er sicher schmunzeln."
Er galt lange als "der Sohn von"
Wie andere Pubertierende auch, hatte Scheerer zunächst selber den Abstand zur Familie gesucht – und in seinem Fall auch zu den Erfahrungen der Entführung.
"Ich habe damals Musik dazu benutzt, mich von meinen Eltern loszusagen. Grade so Gitarren-lastige Musik ist natürlich dann ein super Vehikel…"
Nach der Schulzeit beginnt Scheerer sich noch intensiver mit Musik zu beschäftigen und eröffnet schließlich ein eigenes Aufnahmestudio: Clouds Hill in Hamburg, in dem inzwischen schon diverse Größen des Musikgeschäfts ihre Songs eingespielt haben. Gerade bei den internationalen Künstlern war es oft angenehm, dass diese seine Geschichte gar nicht kannten. Trotz des Erfolges als Produzent blieb er im Deutschen Umfeld dennoch für viele lange "der Sohn von".
"Ich habe mich in den letzten 20 Jahren mit der Aussage herumplagen müssen, ich sei in erster Linie der Sohn und möchte zwar gerne Musikproduzent sein, aber wie soll das funktionieren? Wie sich das jetzt grade umdreht, ist interessant für mich."