Geniales Stückwerk
Als "größtes musikalisches Kunstwerk aller Zeiten und Völker" wurde Johann Sebastian Bachs h-Moll-Messe schon früh bezeichnet. Auch heute noch gilt sie als Gipfelwerk, bleibt aber zugleich ein rätselhaftes Stück.
Überragend, geheimnisvoll, und auch: fragwürdig. Der Messe in h-Moll von Johann Sebastian Bach wurde, ungeachtet ihres einzigartigen Ruhms, immer wieder der Status als geschlossenes Ganzes, als "Werk" abgesprochen. Es handelt sich um die katholische Messvertonung eines protestantischen Musikers, und zugleich um eine faszinierende Synopse verschiedener Stile und Techniken der europäischen Kunstmusik. Damit weist die h-Moll-Messe auch in die Zukunft – als ein Dokument, das nie in Vergessenheit geriet, weil dessen Abschriften unter Musikern ehrfürchtig kursierten. Bachs Manuskript, dessen fragiler Papierzustand immer wieder Anlass zur Sorge gab, ist heute einer der größten Schätze im Bestand der Berliner Staatsbibliothek.
Die "catholische" Messe eines Protestanten
Tatsächlich scheinen die irdischen Schranken von Raum und Zeit in diesem Werk überwunden zu sein, auch im Hinblick auf die Biografie seines Urhebers: Bach hat den ersten Teil 1733 und alles weitere in den beiden Jahren vor seinem Tod 1750 geschrieben. Dabei griff er – wie damals üblich – auf bereits bestehende Stücke aus der eigenen Werkstatt zurück. Bachs ursprüngliche Vertonung, die nur Kyrie und Gloria umfasste, entsprach den damaligen Gepflogenheiten protestantischer Kirchenmusik. Die späte Erweiterung dieses bereits großen Wurfs zur "missa tota", zur "großen catholischen Messe" – wie Bachs Sohn Carl Philipp Emanuel schrieb – wirft unterschiedlichste Fragen auf, nicht zuletzt unter aufführungspraktischen Aspekten.
Unser Studiogast ist einer der erfahrensten Interpreten der Bachschen Musik überhaupt: Der Dirigent und Organist Ton Koopman beschäftigt sich als Leiter des Ensembles Amsterdam Baroque Orchestra & Choir seit Jahrzehnten in Theorie und Praxis mit Bach und seinem Umfeld.