Die Kunst des Kanons
Der König der Töne zu Gast beim König der Preußen: Die Begegnung von Johann Sebastian Bach und Friedrich dem Großen 1747 war folgenreich, aus ihr ging das "Musikalische Opfer" hervor.
Kaum eine Begebenheit aus Johann Sebastian Bachs Schaffensbiografie ist so eingehend dokumentiert worden wie sein Potsdam-Besuch am 7. und 8. Mai 1747, bei dem es zu einer spektakulären Audienz beim preußischen König Friedrich II. kam. Die Überlieferung beginnt mit der weiten Presseresonanz auf das Ereignis, die zugleich ein gehöriges Stück Hohenzollern-Legende begründete. Demnach sei der "berühmte Capellmeister" eigens gekommen, um mit "allergnädigster Erlaubniß" die "vortreffliche Königl. Music zu hören", die allabendlich im (1945 zerstörten) Stadtschloss veranstaltet wurde. In Wirklichkeit hatte es mehrfacher Aufforderung des Potentaten bedurft, ehe sich der vielbeschäftigte Thomaskantor zur Reise nach Potsdam aufraffen konnte.
Die musikalische Seite des Besuchs wird in den offiziellen Berichten eher "unterbelichtet". Beinahe zufällig, jedenfalls ohne besonderen Vorsatz, sei es zu einer Fugenimprovisation gekommen – und zwar über ein Thema, das seine Majestät "ohne einige Vorbereitung in eigner höchster Person dem Capellmeister Bach vorzuspielen" geruhte. Immerhin fand Bach das königliche Thema "ausbündig schön", so dass er es "in einer ordentlichen Fuga zu Papier bringen und hernach in Kupfer stechen lassen" wollte.
Ertragreiches Elaborat
Auch wenn diese musikalische Eingebung Friedrichs II. für eine fugenmäßige Durchführung wenig geeignet war: unter den Händen Bachs erbrachte es den reichsten Ertrag. So wuchs sich die Verarbeitung des (vermutlich leicht redigierten) Themas zu einem weit umfassenderen Vorhaben aus, als es die schriftliche Fixierung der Improvisation gewesen wäre. Dies geht auch aus einer von Bach veranlassten Ankündigung hervor: "Die Elaboration bestehet 1.) in zweien Fugen, eine mit 3. die andere mit 6. obligaten Stimmen; 2.) in einer Sonata, a Traversa, Violino e Continuo; 3.) in verschiedenen Canonibus, wobey eine Fuga canonica befindlich."
Kanonischer Kern
Doch die von Bach genannten verschiedenen Kanons wurden in der musikalischen Praxis lange Zeit als nachrangig verkannt. Dabei bilden sie doch den Kern des Kompendiums, für das Bach den eigenartigen Titel "Musikalisches Opfer" (zu verstehen als "Gabe", als Dedikation) gefunden hat. Allein dass zehn von 16 Sätzen des Zyklus Kanons sind, könnte es rechtfertigen, analog zu dem großen Parallelwerk von der "Kunst des Kanons" zu sprechen.
Für "Interpretationen" hat Bach im "Musikalischen Opfer" reichlich Spielraum gelassen. Das betrifft zum einen die Frage, wie die Teile des Zyklus angeordnet werden können, zum anderen die verschiedenen Möglichkeiten instrumentaler Besetzung. Beides soll anhand älterer und aktueller Aufnahmen des "Musikalischen Opfers" erörtert werden.