Johanna Kuroczik: „WUT!: Mut zum Zorn“
Hirzel, Stuttgart 2022
128 Seiten, 15 Euro
Buchautorin Johanna Kuroczik
Zähne zusammenbeissen oder doch laut schreien? © Getty Images/GeorgePeters
Warum die Wut wichtig ist
06:25 Minuten
Menschen sind manchmal rasend vor Wut. Johanna Kuroczik hat ein Buch über dieses starke Gefühl geschrieben. Die Medizinerin und Wissenschaftsredakteurin sagt, männliche Wut werde noch immer viel mehr akzeptiert als weibliche.
Shelly Kupferberg: Und jetzt widmen wir uns einem der wohl menschlichsten aller Gefühle, der Wut. „WUT!: Mut zum Zorn“ heißt ein Buch, das Johanna Kuroczik geschrieben hat, studierte Humanmedizinerin und Redakteurin im Ressort Wissenschaft der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“. Frau Kuroczik, worin besteht der Unterschied zwischen Wut und Zorn?
Kuroczik: Wenn wir heute im Alltag wütend werden, uns über den Stau beklagen oder vielleicht ein Nachrichtensprecher von dem Krieg berichtet, da unterscheiden wir diese Wortzwillinge eigentlich kaum. Aber natürlich kann man die Wortstränge historisch zurückverfolgen. Die Wut wird geschichtlich eher mit Besessenheit und Wahnsinn gefasst. Bei der Tollwut beispielsweise sehen wir auch diesen medizinischen Kontext von der Raserei. Lange galt Wut auch einzig im Deutschen als Beschreibung einer Intensität: Das Meer kann wüten, der Wind wütet. Es ist also eine sehr intensive Erfahrung.
Bei Zorn hingegen, da gibt es auch theologische und juristische Kontexte. Dem Zorn wohnt eher eine Rationalität inne, eine Berechtigung. Beim Zorn stellt sich immer die Frage, auf wen ist man zornig? Man benutzt das Wort heute nicht mehr, Zorn …
Kupferberg: Es ist ein bisschen aus der Mode gekommen.
Kuroczik: Genau: Es klingt ein bisschen historisch und veraltet. Aber tatsächlich kann man behaupten, dass die moderne Wut, die wir als Gefühl kennen, das jeder hat, aus dem antiken Herrscherzorn entstanden ist. Lange war nämlich Zorn mächtigen Männern vorbehalten.
"Wut ist so ein kontroverses Gefühl"
Kupferberg: Auch das ist ein Thema in Ihrem Buch. Aber Sie gehen der Wut erst einmal historisch nach: In welchen Schriften kommt sie vor, angefangen von der Bibel über die Antike bis ins Hier und Jetzt? Sie betrachten sie dann psychologisch, naturwissenschaftlich, literarisch, philosophisch, politisch. Was genau hat Sie denn an der Wut interessiert?
Kuroczik: Ich fand es spannend, dass die Wut so ein kontroverses Gefühl ist, das irgendwie nicht sein darf und als Sünde gilt, das aber auch wahnsinnig zum Menschen dazu gehört und so voller Energie steckt. Sie kann im politischen Sinne dieser Motor für Veränderung sein: Ohne Wut könnte es keine Revolutionen geben und Wut dient im Privaten dazu, meine Grenzen zu schützen.
Ich finde es interessant, dass das Gefühl so verpönt ist, gleichzeitig ist es eine wahnsinnig körperliche Erfahrung. Wut geht anders als andere Emotionen mit einer starken Veränderung einher: zum Beispiel werden unsere Muskeln stärker durchblutet, der ganze Körper reagiert sozusagen mit. Und dennoch darf es irgendwie für viele nicht sein. Das fand ich sehr spannend.
Kupferberg: Es ist auf eine Weise tabuisiert, trotzdem kennt jeder dieses Gefühl von Wut. Wann ist es erlaubt, wütend zu sein in Anführungsstrichen, wann eher verpönt? Sie sagten schon, meist ist es die männliche Wut, über die wir sprechen. Was ist mit der weiblichen Wut?
Kuroczik: Wut ist generell in unserer Gesellschaft eigentlich eher kritisch gesehen, denn sie entspricht nicht dem Ideal von Gelassenheit und Achtsamkeit, sondern gilt eher als Zeichen, dass man sich nicht im Griff hat. In diesen Tagen sieht man aber auch teilweise, dass es eine andere Seite hat: dass Wut nämlich als Wut über Ungerechtigkeit auch ein politisches Gefühl hat und so auch eine moralische Ebene anspielt.
Interessant ist die Frage, wem es gestattet ist, wütend zu sein, denn wir unterscheiden ganz krass in unserer Gesellschaft, wie wir männliche Wut und weibliche Wut sehen. Männliche Wut wird mehr akzeptiert und kann sogar zum Vorteil der Männer sein.
In Studien galten zum Beispiel wütend auftretende Männer als kompetenter und engagierter, wütend auftretende Frauen hingehen als unkontrolliert, schnell als wahnsinnig und letztlich auch hysterisch – dieses schreckliche Wort – und eben als lächerlich. Allein die Wörter: Zickenkrieg, Stutenbissigkeit. Indem man die weibliche Wut nicht sieht, ist das auch ein Weg, die Anliegen der Frauen zu degradieren, denn man muss ja immer fragen: Was steckt hinter der Wut? Also was löst dieses Gefühl aus?
"Zorn ist eine männliche Emotion"
Kupferberg: Sie widmen dem Ganzen auch ein ganzes Kapitel in Ihrem Buch. Haben Sie das Gefühl, da ändert sich was?
Kuroczik: Man kann dieses Gefühl derzeit auf jeden Fall gewinnen. Es erscheinen viele Bücher und Artikel, die sich mit der weiblichen Wut auseinandersetzen: Zum Beispiel wird die Dichterin Audre Lorde, die sehr viel über feministische und weibliche Wut geschrieben hat, wiederentdeckt.
Man kann den Eindruck haben, dass es sich derzeit ändert, aber es ist doch sehr in unserer Gesellschaft drin, diese Prägung, dass Zorn eine männliche Emotion ist. Das beginnt ja schon im Kindesalter, wenn zum Beispiel laut Studien wütenden Jungs mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird und auf der anderen Seite dann eher lieben, braven Mädchen. Ich glaube, bis wir das wirklich hinter uns gelassen haben, da steckt noch viel Arbeit hinter.
Kupferberg: Dass Wut zerstörerisch sein kann, braucht man ja nicht weiter auszuführen, aber sie kann eben auch produktiv sein: Sie haben es schon Revolutionen genannt, denken wir auch, ganz konkret, an Fridays for Future als Bewegung, die ja auch wütend ist, teilweise zumindest, aber auch was Konstruktives in sich trägt. Welchen biologischen Zweck hat die Wut?
"Wut dient unserer Verteidigung"
Kuroczik: Die Evolution ist sehr pragmatisch. Was dem Menschen nicht nützt zum Überleben, ist irgendwann wieder verschwunden. Und Wut ist halt, wie wir gesagt haben, schon sehr viel Arbeit für den Körper – und das gehen wir ein, denn sie ist wichtig zum Überleben. Wut schützt mich und schützt meine Grenzen und ist eine Reaktion auf eine Bedrohung. Unsere Muskeln werden eben stärker durchblutet, man hat mehr Kraft, wir atmen häufiger. Das alles dient dazu, um uns für den Kampf vorzubereiten als Teil der sogenannten Kampf-oder-Flucht-Reaktion.
Nun sagen manche Kritiker, dass das vielleicht in der Steinzeit nützlich war, wenn man sich irgendwie und seine Beute gegen wilde Tiere verteidigen musste, aber heute haben wir Gerichte und Polizei, die uns schützt, da bräuchte man die Wut nicht mehr. Aber auf persönlicher Ebene ist sie eben immer noch ein wichtiges Alarmsignal für mich: Hier stimmt was nicht, hier wurde mein Selbstwert verletzt. Also, Wut dient eigentlich ganz unserer Verteidigung.
//Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.//