Johannes Zechner: "Der deutsche Wald"

Viel mehr als jede Menge Bäume

Buchenwald südlich von Hannover
"Der deutsche Wald": Zechners chronologische Studie beginnt bei den Romantikern und endet bei den Nationalsozialisten. © picture-alliance / dpa / Foto: Julian Stratenschulte
Von Michael Opitz |
Eine Beziehung zwischen Natur und Nation: In "Der deutsche Wald" stellt Johannes Zechner überzeugend dar, warum das Baumgrün von Romantik bis NS-Diktaur eine große Bedeutung erhielt. Alles begann mit dem Sieg der Germanen gegen die Römer - im Teutoburger Wald.
Als Wilhelm Heinrich Riehl, ein Erfolgsautor der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, den Deutschen ins Stammbuch schrieb: "Das deutsche Volk bedarf des Waldes wie der Mensch des Weines", war die silvane Beziehung zwischen Natur und Nation in der deutschen Geistesgeschichte bereits fest verwurzelt. Nicht irgendwo, sondern im Teutoburger Wald hatten die Germanen im Jahre neun drei römische Legionen unter der Führung ihres Feldherren Varus besiegt.
Für den römischen Geschichtsschreiber Tacitus hatten die Germanen im dichten Baumgrün einen Verbündeten. Roms Legionen waren untergegangen, weil sie es neben einem taktisch geschickt agierenden Gegner auch mit "grauenerregenden Wäldern und grässlichen Sümpfen" zu tun hatten. In dem aus römischer Sicht schier endlosen Waldmassiv an der nördlichen Grenze Roms lebten, so Tacitus, kräftig gebaute, hellhaarige und blauäugige Krieger, Barbaren, die sich in der kargen Natur eingerichtet hatten. Im Unterschied zu den Römern, die ihre Landschaft kultiviert und Rom zu einem Imperium ausgebaut hatten.

Wald-Propaganda in der NS-Diktaur

Dass für die Herausbildung des deutschen Nationalgefühls der Wald eine so wesentliche Rolle spielte, ist, so Zechner, auf den in ihm errungenen Sieg der Germanen gegen die Römer zurückzuführen. Zechner verweist auf die nachfolgenden ideengeschichtlichen Zusammenhänge zwischen der Entwicklung der Deutschen und dem Wald. So sahen die Deutsch-Nationalen in der Verschränkung von Wald und Volk die Gewähr für "Erhalt und Erneuerung von Wald wie Volk"; verlören die Deutschen den Kontakt zum Wald, beraubten sie sich der Wurzeln, aus denen sie hervorgegangen sind. So forstete Wilhelm Heinrich Riehl den deutschen Wald propagandistisch auf, so wurde der Wald während der NS-Zeit gezielt für die Rassenpolitik in den Dienst genommen. Das tief verwurzelte deutsche Volk unterschied sich, so behauptete die völkische Ideologie, grundlegend vom jüdischen "Steppenvolk", das als unfähig galt, Wurzeln zu schlagen.
Auch in den Hausmärchen der Brüder Grimm wurde der Wald funktionalisiert. Mehr als die Hälfte der 160 Märchen in der Erstausgabe weisen einen Bezug zum Wald auf. Schaurig wurde er aber erst durch die Bearbeitungen Wilhelm Grimms.

Gut lesbare und materialreiche Studie

Zechners chronologisch angelegte Studie beginnt bei den Romantikern (Tieck und Eichendorff) und endet bei den Nationalsozialisten. Es gelingt ihm in seiner gut lesbaren und äußerst materialreichen Studie, überzeugend darzustellen, wie der Wald ideengeschichtlich vereinnahmt worden ist. Liest man dieses Buch, dann gerät man immer tiefer in den deutschen Wald, der seine lieblich-heiteren Züge, die er bei den Romantikern noch besaß, zunehmend verliert. Als die nationalgesinnten Autoren beginnen, ihn für sich zu entdecken, um ihren Ideen einen bodenständigen Ausdruck zu verleihen, fängt es im Blätterwald an, unheilverkündend zu rauschen. Der Wald wird zunehmend verdächtiger.

Johannes Zechner: Der deutsche Wald. Eine Ideengeschichte zwischen Poesie und Ideologie 1800-1945
Verlag Philipp von Zabern/Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2016
446 Seiten, 69,95 Euro

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