John Burnside: "So etwas wie Glück"
© Penguin Verlag
Beziehungen auf kleiner Flamme
32:32 Minuten

John Burnside
Aus dem Englischen von Bernhard Robben
So etwas wie Glück. Geschichten über die LiebePenguin, München 2022244 Seiten
24,00 Euro
Zwei Brüder streiten über einen Pullover. Ein Mann zieht seiner Frau den kranken Zahn. Zwei Versehrte kommen ins Gespräch. Zwischen Gewalt und Glück, Liebe und Lieblosigkeit bewegen sich die Erzählungen und bieten magische Momente der Gegenwärtigkeit.
Der schottische Schriftsteller John Burnside ist berühmt als Lyriker, als Romancier und als Verfasser autobiographischer Bücher wie „Lügen über meinen Vater“. Nun erscheint erstmals eine Sammlung mit Erzählungen auf Deutsch.
Wie in anderen Büchern Burnsides ist die Gewalt, die oft unerklärlich und brutal hereinbricht, ein Leitmotiv. In der Titelgeschichte „So etwas wie Glück“ eskaliert die Rivalität zwischen zwei Brüdern wegen eines läppischen Streits um einen Pullover auf maßlose Weise. In „Schlampenflusen“ macht sich ein Mann daran, seiner Frau mit einer Zange aus seinem Handwerkerkasten einen schmerzenden Zahn zu ziehen – der Zahnarzt ist zu teuer und der Respekt vor seiner Frau, aus deren Sicht das blutige Geschehen erzählt wird, längst verloren gegangen.
Glück ist kein existentielles Großereignis
In der ersten, starken Geschichte „Die Kälte draußen“ fährt ein Sirupauslieferer kurz vor Weihnachten durch die verschneite schottische Landschaft. Er hat die Diagnose Krebs bekommen; unheilbar. Und nun denkt er über seine mittelmäßige Ehe und sein mittelmäßiges Leben nach und über die Momente, die es dennoch wertvoll gemacht haben. Dann nimmt er in der Winterkälte einen Anhalter mit, dem es offenbar auch nicht gut geht: ein Mann in Frauenkleidern, mit Prügelspuren im Gesicht und einer bedenklichen Fleischwunde am Bein.
Das Rätsel wird nicht aufgelöst. Aber wie diese beiden versehrten Menschen durch die Winternacht fahren und scheu miteinander sprechen – das hat diese eindringliche, immer etwas mysteriöse Burnside-Atmosphäre.
Sackgassen des Gefühls
„Geschichten über die Liebe“ lautet der Untertitel des Buches in der deutschen Übersetzung. Konventionelle Liebesgeschichten sollte man allerdings nicht erwarten. Hier werden eher Sackgassen des Gefühls ins Auge gefasst und erloschene oder allenfalls auf kleiner Flamme glimmende Beziehungen beschrieben. Das Ideal der perfekten harmonischen Zweisamkeit erweist sich als Illusion. Gerade deshalb gibt es aber diese unerfüllten, umhertastenden, bisweilen auf Abwege geratenden Sehnsüchte in den Erzählungen.
Glück, heißt es an einer Stelle, bestehe nicht in existenziellen Großereignissen wie einer Liebe auf den ersten Blick, einer brillanten Karriere, sozialen Triumphen oder beneidenswerten Abenteuern. Sondern in jenen magischen Momenten der Gegenwärtigkeit, wo man sich ganz in eine Tätigkeit oder Wahrnehmung versenkt, Momente, in den Burnsides Erzählkunst leuchtet: der Vorgeschmack des Herbstes im klammen Licht eines Spätsommertags, die Stille eines Schneetreibens.
Die Erzählung als ideale Form
Während Burnsides Romane bisweilen an allzu konstruiert wirkenden Plots leiden, ist die kürzere, mit wenig Handlung auskommende Erzählung eine ideale Form für diesen Schriftsteller. Auf zwanzig oder dreißig Seiten kommt sein atmosphärisches, psychologisch nuanciertes Erzählen bestens zur Geltung.
Und bisweilen macht sich auch der Lyriker dabei geltend, wenn Beschreibungen mit starken Bildern und Vergleichen angereichert werden. Wer käme sonst auf die Idee, reife saftige Birnen als „Säckchen voll süßen Bluts“ zu bezeichnen? Der poetische Mehrwert geht in der vorzüglichen Übersetzung von Bernhard Robben zum Glück nicht verloren. Erzählungen – leider ein immer wieder unterschätztes Genre.