Durch Jazz den Heiligen Geist erfahren
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Musik und Spiritualität hängen eng zusammen. In der "Church Of John Coltrane" in San Francisco hat man daher einen Musiker zum Heiligen erklärt. Die "hippste Kirche überhaupt", urteilte die New York Times.
An einem Sonntagmittag beginnt mit etwas Verspätung um 12:45 Uhr der Gottesdienst in der John Coltrane Church. Etwa 50 Menschen sind gekommen. Alt und jung, Afro-Amerikaner und Weiße, einige sind zum erste Mal hier, andere kommen seit Jahren. Es ist eine äußerst entspannte Atmosphäre, jeder lächelt hier jeden an.
Die Pastorin der Gemeinde Wanika Stephens verwendet den Begriff "baptized in sound". In Anlehnung an die Taufe mit geweihtem Wasser wird man hier mit dem Klang John Coltranes in die Glaubensfamilie aufgenommen.
Coltrane heiliggesprochen – ohne Zustimmung aus Rom
"Das geht auf die Gründung zurück, wie alles angefangen hat", erzählt Stephens. "Es war durch diese ‚Klangtaufe‘, die unsere Gründer Bischof King und Mutter Marina 1965 in einem Jazz-Workshop in San Francisco erlebten. Sie sahen damals einen Auftritt von John Coltrane. Sie waren dort, um ihren ersten Hochzeitstag zu feiern und alles fing mit John Coltrane an. Sie waren den ganzen Abend dort und total gebannt von der Musik und dem, was sie in dieser Nacht erlebten."
In einem Jazzclub hätten die beiden den Heiligen Geist durch die Musik erfahren, heißt es auf der Webseite der Gemeinde. Nachdem John Coltrane im Juli 1967 im Alter von gerade mal 40 Jahren verstarb, kam man zu regelmäßigen Hörtreffen mit Freunden zusammen. Hier spürte man erneut die Kraft von Coltranes Musik und Worten – den wenigen, die er zu seiner Musik gesagt hat.
Das führte zur Gründung des "Yardbird Tempel". Man orientierte sich an Coltrane, war aktiv mit der Black Panther Party verbunden, beteiligte sich auf den Straßen am Kampf für soziale Gleichheit. Mitte der 80er Jahre sprach die "African Orthodox Church" John Coltrane heilig. Der Tempel wurde umbenannt in "Saint John Will-I-Am Coltrane African Orthodox Church".
"Uns ist es egal, wie andere darauf reagieren", so Stephens, "sie können so reagieren, wie sie wollen. Wir haben eine Mission, der wir folgen, eine Mission von Gott, diese Arbeit zu tun, Coltranes Bewusstsein in der Welt zu verbreiten. Dafür brauchen wir nicht die Zustimmung aus Rom. Gott selbst hat uns dafür das Mandat gegeben."
Jahrzehntelang war die John Coltrane Church Teil des Fillmore-Distrikts von San Francisco, einem ehemaligen afroamerikanischen Zentrum in der "City by the Bay", in dem der Jazz und der Blues gefeiert wurden. Davon ist nicht mehr viel übriggeblieben.
Seine Musik hören ist wie Beten
Auch die Kirche selbst verlor vor ein paar Jahren das Dach über dem Kopf. Die Gentrifizierung verändert alles in der Stadt. Die John Coltrane Church hat mittlerweile neue Räume gefunden und teilt sich nun ein Kirchengebäude mit der St. Cyprian’s Episcopal Church auf Turk Street.
An diesem Sonntag findet zuerst eine Meditation statt. "A Love Supreme", Coltranes Meisterwerk, wird gespielt. Als berichtender Journalist bin ich wohl der einzige im Raum, der nicht die Augen schließt und sich von der Musik erfüllen lässt.
"Für mich ist die Musik von John Coltrane wie beten, so sehe ich das", beschreibt Stephens. "Als Mutter, als Seelsorgerin, als Pastorin der Coltrane Church bin ich sehr beschäftigt. Und manchmal habe ich nicht die Zeit, mich hinzusetzen und 20 Minuten in mich zu gehen. Aber ich kann auf alle Fälle John Coltranes Musik hören und mich so auf den Tag vorbereiten. Ich spüre, wie die Musik zu mir spricht, sie erlaubt mir, mich zu öffnen, empfänglich zu sein für das, was der Geist Gottes mir sagen will. Denn genau das ist es, was Beten bedeutet. Es ist eine Öffnung des Herzens."
Die Kirche als Jazzclub
Nach "A Love Supreme" stehen viele der Anwesenden auf, teilen mit den anderen, was die Musik für sie bedeutet, in ihnen ausgelöst hat. Ein junger Mann erzählt, er habe sich beim Zuhören wie auf einem Berggipfel gefühlt. Eine Frau spricht davon, dass ihr John Coltranes Musik über den Tod eines engen Freundes hinweghalf. Danach werden all jene eingeladen nach vorne zu kommen, die ein Instrument mitgebracht haben. Die Kirche wird zum Jazzclub.
Stephens: "Ich möchte, dass die Anwesenden das mitnehmen, was der Heilige John Coltrane wollte. Ich möchte, dass sie das mitnehmen, was sie brauchen. Ich möchte, dass sie hierher kommen, suchend und findend und glücklich von hier weggehen. Dass sie ein Stück weit dem näher kommen, das Gefühl haben, eine Antwort bekommen zu haben. Ein weiteres Stück im Puzzle. Denkenden, bewussten Menschen geht es immer genau darum."
Die hippste Kirche überhaupt
Die John Coltrane Church wurde einmal von der New York Times als "hippste Kirche überhaupt" bezeichnet. Nach dreieinhalb Stunden Gottesdienst der etwas anderen Art und viel Jazz kann man dem durchaus zustimmen. Die Türen der kleinen Gemeinde stehen sonntags für jeden offen, der die Musik von John Coltrane oder Kirche und Spritualität einmal ganz anders erleben möchte.