John Connelly: Juden – Vom Feind zum Bruder. Wie die katholische Kirche zu einer neuen Einstellung zu den Juden gelangte
Aus dem Amerikanischen von John Connelly und Ian E. Morgan
Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn 2016
310 Seiten, 39,90 Euro
Als die Kirche aufhörte, die Juden zu verteufeln
Mit der Erklärung "Nostra Aetate" verabschiedete sich die katholische Kirche 1965 offiziell vom Antijudaismus. Der Historiker John Connelly beschreibt, wie um den Text gerungen wurde. Und wie die Kirche lange zwischen Menschenliebe, Rassenvorstellungen und Antijudaismus schwankte.
Man hätte dem Buch eine präzisere Übersetzung seines Untertitels gewünscht. Bei der 2012 erschienenen amerikanischen Originalausgabe lautet er: "Die Revolution in der katholischen Lehre über die Juden, 1933 bis 1965." Und genau um diese relativ kurze Zeitspanne geht es John Connelly nämlich – auch wenn er den historischen Horizont des jahrhundertelangen Nebeneinanders von Christen und Juden nicht gänzlich aus den Augen verliert. Er will zeigen, wie sich in rund 30 Jahren die katholische Sicht auf die Juden fundamental wandelte – und welche seltsamen Wege das nahm. Denn Ausgangsposition war bei praktisch allen Protagonisten ein tiefliegender christlicher Antijudaismus:
Als "Gottesmörder" verflucht
"Selbst die entschlossensten Gegner des Nationalsozialismus unter den Christen – Dietrich Bonhoeffer eingeschlossen – teilten die grundlegende Ansicht mit Antisemiten, dass die Juden aufgrund der Ermordung Jesu Christi verflucht seien."
Diese Vorstellung, so Connelly, verhinderte lange eine klare Stellungnahme der katholischen Kirche gegen die nationalsozialistische Judenvernichtung. Und sie verschwand erst langsam aus der Vorstellungswelt nur weniger Katholiken, die sich über dieses Schweigen empörten und schließlich die theologische Vorarbeit für die Erklärung Nostra Aetate leisteten. Die meisten von ihnen – genannt seien hier nur der Priester Johannes Oesterreicher, der Philosoph Dietrich von Hildebrand, die Pazifistin Gertrud Luckner und der Theologe Karl Thieme – waren deutschsprachige Konvertiten vom Judentum oder vom Protestantismus.
"Nichts hat ihren Übertritt zum Katholizismus vorbestimmt, doch nachdem sie die Grenze dorthin passierten, verkörperten die Konvertiten eine Kirche, die weniger eingegrenzt war, und sie nutzten die dort vorhandenen Freiheiten, so spärlich sie am Anfang gewesen sein mochten, um den Katholizismus zu einem Ort zu machen, wo sich ihr ehemaliges Selbst heimisch fühlen konnte."
Die Fiktion einer durch Widerstand und Martyrium geeinigten Kirche
John Connelly will, das schreibt er selbst, keine Schuld zuweisen oder davon freisprechen, sondern Denk- und Handlungsspielräume der Zeit aufzeigen. Das gelingt ihm mit seiner Darstellung von Lebenswegen und theologischen Auseinandersetzungen so gut, dass nach der Lektüre des Buches klar ist: Nicht nur die Päpste Pius XI. und Pius XII. schwankten zwischen universaler Menschenliebe, zeitgenössischem Rassenverständnis und christlichem Antijudaismus.
"Die Grenzen zwischen katholischer Resistenz und Kollaboration blieben fließend und verliefen oft durch einzelne Biographien. Letztlich blieb der deutsche Katholizismus eine integre Einheit mit eigener Sprache, und wenn es linke oder rechte Tendenzen gab, so haben sie die Einheit nicht gefährdet. Die Geschlossenheit währte tief in die Nachkriegszeit, als ehemalige Verfolgte sich weigerten, die braunen Sympathien ihrer Glaubensgenossen kritisch unter die Lupe zu nehmen, allenfalls nicht öffentlich. Insgesamt hielt das katholische Milieu an der schnell nach dem Krieg aufkommenden Fiktion einer durch Widerstand und Martyrium geeinigten Kirche."
Nur langsam setzt sich eine positive Sicht auf die Juden durch
Paradoxerweise ermöglichte aber gerade das Selbstverständnis als Opfer des Nationalsozialismus manchen Kirchenvertretern nach dem Krieg eine Nähe zu Juden, die sie vorher nie hatten und die auch theologisch für sie noch nicht denkbar war. Zu groß war das Gewicht der traditionellen Vorstellungen von Fluch und Verstockung des nicht länger auserwählten Volkes Israel, zu groß gerade im deutschen Sprachraum die biologistischen Konnotationen zentraler Begriffe wie Volk, Reich und Erbsünde. Selbst die Vordenker von Nostra Aetate brauchten nach 1945 noch lange, um sich von Gedanken wie der Kollektivschuld der Juden am Tod Jesu oder dem Auftrag der Judenmission zu verabschieden. Erst langsam entdeckten sie den Römerbrief im Neuen Testament als biblischen Bezug für eine andere, positive Sicht auf Juden als "ältere Brüder".
Hart wurde um die endgültige Version der Erklärung Nostra Aetate gerungen, die die in Rom versammelten Bischöfe im Oktober 1965 mit großer Mehrheit verabschiedeten. Nur fünfzehn lateinische Sätze lang ist das vierte Kapitel, das von den Juden handelt. Es erwähnt weder den Holocaust noch eine Verantwortung der Kirche – aber der Begriff des Gottesmords ist verschwunden. Und glaubt man Connelly, so hat die Kürze des Textes durchaus Vorteile:
"Hindernisse zur tieferen Verständigung zwischen Christen und Juden wurden entfernt, und angesichts der Gedankenhorizonte der damaligen Zeit hätte ein längeres Dokument auch Risiken in sich geborgen. Im Oktober 1965 hoben viele Bischöfe ihre Hand in ethischer Zustimmung, während sie unbewusst an antijudaistischen Vorstellungen festhielten."
Dass es solche Vorstellungen bis heute gibt, davon zeugt auch die 2008 von Papst Benedikt XVI. in der lateinischen Liturgie erneut verschärfte Karfreitagsfürbitte für die Juden. Aber das ist eine andere Geschichte. Hinter die grundlegende Akzeptanz der Juden, die Nostra Aetate geschaffen hat, kann die katholische Kirche nicht zurück. Und Dank des detaillierten, aber gut lesbaren Buches von Connelly weiß man nun, welche Grenzgänger dafür wie lange gekämpft haben.