John Dickie: "Die Freimaurer – Der mächtigste Geheimbund der Welt"
Aus dem Englischen von Irmengard Gabler
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2020
560 Seiten, 26 Euro
Gar nicht so geheimer Männerbund
06:53 Minuten
Kaum eine Vereinigung ist so sagenumwoben wie die Freimaurer. Einst waren sie Handwerker, die sich in Logen zusammentaten. Seither besteht ein weltweites Netzwerk von Freimaurern. Der Historiker und Autor John Dickie geht dem Mythos auf den Grund.
Eine Berliner Freimaurerloge stellt auf ihrer Website klar, dass die Freimaurerei "kein Geheimbund" sei, und lädt dazu ein, Fragen per E-Mail zu stellen. Verschwörerisch gedacht ist das natürlich genau das, was ein Geheimbund von sich selbst sagen würde.
Aber es bleibt trotzdem zu hoffen, dass der britische Historiker und Journalist John Dickie besser nichts von dieser Selbstdarstellung erfährt. Er hat schließlich ein Buch über den laut Untertitel "mächtigsten Geheimbund der Welt" geschrieben, das mit manchen Mythen aufräumt, aber dafür neue schafft.
Dickie ist Professor für Italianistik in London, er verfasste zuvor einen Bestseller zur Geschichte der Mafia. "Die Freimaurer" ist eine seriöse Studie, keine paranoide Kolportage. Okkulter Kerzenrauch wird auf ein Minimum reduziert.
Zufällig Geheimloge
Auch die bekannte Freimaurer-Symbolik mit Zirkel und Winkelmaß ist im Ursprung gar nicht so mystisch. Die Freimaurer waren tatsächlich ursprünglich Maurer, die wegen frühenglischer Handwerkspolitik keine eigene Gilde haben durften, aber als Erben der großen Kathedralenbauer mit viel Berufsstolz ausgestattet waren. So wurden sie, zwischen verschiedenen Königen und Konfessionen stehend, eher zufällig zu einer Geheimloge.
Der Weg von diesem Zusammenschluss von Steinmetzen hin zu einem Logennetzwerk mit weltweiten Dependancen wird geradezu altmodisch erzählt. Dickie verweigert sich aktuellen Sachbuchtrends und präsentiert sich nicht als mutiger Ermittler. Kein "ich treffe den ehemaligen Logenchef in einer kleinen Bar in Singapur", kein "zwischen dem zweiten und dritten Stock der fürstlichen Bibliothek gibt es einen geheimen Raum". Stattdessen liest er einfach alte Manuskripte von Freimaurern wie von Freimaurerfeinden.
Obwohl, wie die Autorenbiografie klarstellt, selbst kein Logenmitglied, folgt Dickie weitgehend deren Selbstbild. Er nimmt sie in Schutz vor Vorwürfen des Männerbündlertums, obwohl Frauen in Logen auch heute die absolute Ausnahme sind. Für ihn sind die Freimaurer durch die Jahrhunderte hinweg wichtige Vertreter liberaler, toleranter und antiklerikaler Ideen.
Verfolgung im Faschismus
Mehr noch: Er dreht die sinistren Verschwörungstheorien einfach um und bringt jeden Freiheitskampf, von der US-amerikanischen Revolution bis zum indischen Antikolonialismus, mit der Freimaurerei in Verbindung.
Das taugt als große Erklärung natürlich nicht, liest sich aber spannend. Unangenehmer wird es, wenn Dickie von den Freimaurern nicht nur als Kämpfer für alles Gute, sondern auch als Opfer allen Bösen erzählt.
Im faschistischen Italien, franquistischen Spanien und im nationalsozialistischen Deutschland wurden Freimaurerlogen oft per Dekret aufgelöst. Dickie betont, dass Freimaurer wie Carl von Ossietzky nicht wegen ihrer Logenzugehörigkeit, sondern wegen ihrer politischen Überzeugungen und Handlungen eingesperrt und ermordet wurden. Trotzdem verwendet er den Begriff des Antimasonismus, der zentral sei für repressive Regimes.
Monografie einer Handelskammer
Die einfachste Erklärung für die Freimaurer, dass sie ein Club für vor allem mittelständische Unternehmer sind, die sich vernetzen und ein bisschen wie eine geheime Elite fühlen wollen, interessiert Dickie nicht. Vielleicht, weil sein Buch dann eher die Monografie einer Handelskammer wäre.
Als große Gegengeschichte der letzten 300 Jahren trägt es nicht, aber dafür als heimliche Geschichte des Liberalismus. Bleibt nur die Frage, ob jemand nach Lektüre selbst Mitglied werden will. Wenn doch, hat jede Loge jetzt eine eigene Website, wie ein echter Geheimbund eben.