Flirten mit der "Blechtrommel"
Unterhaltsam, leichtfüßig, anekdotenreich: Der amerikanische Schriftsteller John Irving hat in Lübeck die Trauerrede auf Literaturnobelpreisträger Günter Grass gehalten - eine Rede, die gar nicht traurig daherkam.
"[...] 1962/63 [...] studierte ich in Wien und hatte 'Die Blechtrommel' schon auf Englisch gelesen, schleppte aber immer eine deutsche Taschenbuchausgabe mit mir herum. Auf diese Weise konnte man Mädchen kennenlernen.“
Der US-amerikanische Bestsellerautor John Irving erzählte das während der Trauerfeier für Günter Grass in Lübeck. Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG druckt nun Irvings Trauerrede ab, die größtenteils gar nicht traurig daherkam.
Gerrit Bartels vom TAGESSPIEGEL hält die Rede für "die unterhaltsamste und beste“ der gesamten Gedenkfeier. Eckhard Fuhr spricht dagegen in der WELT von "einer Art Geplauder“, das ihm offensichtlich nicht ganz so gut gefallen hat. Probleme hat er insbesondere mit dem Schluss von Irvings Rede. Da erwähnt Irving eine Figur aus der "Blechtrommel“, den jüdischen Spielzeughändler Sigismund Markus. Die Nazis zwingen ihn, Selbstmord zu begehen. Hauptfigur Oskar Matzerath kommentiert das im Roman so:
"Es war einmal ein Spielzeughändler, der hieß Markus und nahm mit sich alles Spielzeug aus dieser Welt.“
Nach diesem Zitat lässt Irving die Rede auf seinen Freund Grass mit den Worten enden: "Ich weiß, wie sich Oskar fühlt. Günter Grass war der König der Spielzeughändler. Jetzt hat er uns verlassen und alles Spielzeug aus dieser Welt mitgenommen.“
Günter Grass, der König aller Spielzeughändler? "Da stellt sich dann doch leichter Schwindel ein“, kommentiert Eckhard Fuhr in der WELT, "und man wüsste gern, was der Alte dazu gesagt hätte. Der aber sagt nichts mehr. Der liegt nun auf dem Kirchhof von Behlendorf unter dem Rasen.“
Andere liegen über der Erde und nicht neben, sondern in der Kirche. Über die neue Grabeskirche St. Bartholomäus in Köln berichtet Oliver Elser in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG. "Die christlichen Gemeinden in Deutschland schrumpfen“, schreibt er und verweist darauf, dass in den kommenden zehn Jahren voraussichtlich ungefähr 720 katholische Kirchen nicht mehr gebraucht würden. 220 evangelische und rund 100 katholische Kirchen würden schon heute nicht mehr als Gotteshäuser genutzt. Nur was macht man dann mit diesen Bauwerken?
Kirchen als Kletterhallen?
"Ob eine Kletterhalle eine angemessene Nutzung ist oder die Umwandlung in Restaurants, die dann 'Glück und Seligkeit' heißen oder 'Don Camillo'?“, fragt Oliver Elser ketzerisch, um dann auf die Nutzung von St. Bartholomäus als Kirche für Urnengräber einzugehen. Dort sei durch "ein Netz aus goldglänzender Bronze“ eine "Kirche in der Kirche“ geschaffen worden. Das Netz werde während eines Trauergottesdienstes speziell beleuchtet und so "blickdicht“ gemacht. Außerhalb des Netzes ständen dunkle Metallwände mit Platz für 2400 Urnen. Die Grabeskirche sei der Versuch, "den Tod stärker ins Leben zu integrieren“.
Der erste Tote, den der russische Schriftsteller Viktor Jerofejew sah, war Stalin. Als Jerofejew in einem Sachbuch mit Stalin abrechnete, standen die Russen Schlange, um es zu kaufen. Sie hatten fälschlicherweise angenommen, es handele sich um eine Lobeshymne auf Stalin. Jerofejew kennt jedenfalls seine Russen. Das könne man dagegen vom Westen nicht behaupten, sagt er nun im Gespräch mit Franziska Augstein für die SZ.
"Den Krieg in der Ukraine gäbe es nicht, wenn der Westen begriffen hätte, wie man mit Russland umgeht“, glaubt Jerofejew. Seit 1991 habe der Westen Russland "ohne Respekt“ und auch "ohne die angemessene Härte“ behandelt. Jerofejew hat 2011 eine Talksendung im russischen Fernsehen verloren. Wladimir Putin habe sie absetzen lassen, erzählt er. Wie es mit Putin und dem Konflikt mit dem Westen weitergehe, will Franziska Augstein noch in dem SZ-Interview wissen. Viktor Jerofejews Antwort:
"Schon die Annexion der Krim war zu viel. Putin kann ihren Unterhalt nicht finanzieren. Er ist wie eine Schlange, die einen zu großen Brocken verschluckt hat. Erst wenn die Schlange das verdauen könnte, würde sie an einen neuen Bissen denken.“