John le Carré: "Der Taubentunnel. Geschichten aus meinem Leben"
Dt. von Peter Torberg
Berlin, Ullstein 2016
383 Seiten, € 22,00
Ein Leben als unvollständiges Mosaik
In seiner Autobiografie "Der Taubentunnel" gibt Bestseller-Autor John le Carré nicht allzu viel von sich preis. Dafür zeigt er auf vergnügliche Weise die Wechselwirkung von Wirklichkeit und Literatur auf.
Gute Polit-Thriller haben viel mit Skepsis zu tun. Sie suchen nach Wahrheiten oder zumindest eher plausiblen Zusammenhängen hinter den offiziellen Wahrheiten. Sie leben von Misstrauen und produktiver Paranoia, sie säen Zweifel an allzu konsistenten Erzählungen über den Lauf der Welt.
Insofern ist es nur konsequent, dass der Doyen des Polit-Thrillers, David Cornwell alias John le Carré, zu seinem 85. Geburtstag nicht die übliche monolithische Autobiografie vorlegt, die einem langen, spannenden und ereignisreichen Leben ex post irgendeinen höheren Sinn verleihen könnte.
kleine Vignetten, Anekdoten, Essays
Le Carré zersplittert in "Der Taubentunnel" sein Leben in kleine Vignetten, Anekdoten, Essays und autobiografische Reminiszenzen – vor allem an seine enigmatische Mutter und seinen Vater Ronnie. Er fügt sein Leben als unvollständiges Mosaik aus neuen und alten, schon gedruckten Texten zusammen, wobei er sogar auf eine strikt chronologische Achse verzichtet.
Wenn es einen roten Faden gibt, dann bilden den seine Werke, wobei er dabei auf buchhalterisches Abhaken all seiner Romane verzichtet. Deutlich aber ist, dass der Schriftsteller le Carré für ihn im Vordergrund steht und nicht die Privatperson.
Deswegen erfahren wir immer noch nichts Bedeutendes und Wichtiges über seine Tätigkeit beim Geheimdienst, vielleicht auch deswegen, weil es nichts Bedeutendes und Wichtiges zu erzählen gibt. Denn schließlich hatte ja le Carré die Figur des Spions gegen Narrative à la James Bond entheroisiert und das Spionagegeschäft als monströse und oft genug menschenverachtende, nichtsdestotrotz langweilige Bürokratie dargestellt.
Und selbst da, wo er sich mit seinem Vater, einem notorischen Tunichtgut und Hochstapler beschäftigt, bleibt der Bezug auf den Roman "Ein blendender Spion" immer gewahrt und erzählt im Grunde die Genese dieses Buchs, in dem es die realen Hintergründe einer dann letztlich doch fiktiven Figur zu rekonstruieren versucht.
Der Schriftsteller steht im Vordergrund, nicht das Leben
Genau dieses Prinzip macht das Buch so spannend und vergnüglich zu lesen: Wir sehen einem Schriftsteller dabei zu, wie er Realitäten zu Fiktionen verwandelt, die ihrerseits etwas über Realitäten sagen. So sehen wir den großen Manipulator Yassir Arafat mit den Augen le Carrés, der ihn im Zusammenhang seiner Recherchen zu "Die Libelle" trifft, genauso wie eine deutsche Terroristin in israelischer Haft.
Wir verstehen den heiligen Zorn le Carrés, als er den unschuldig in Guantanamo internierten Murat Kurnaz trifft (wobei der BND nicht gut wegkommt) und der die Vorlage für den Roman "Marionetten" abgibt. Und natürlich können wir uns an den vielen kleinen, scharfsinnigen, mit kühlem Witz geschriebenen Porträts vieler Berühmtheiten erfreuen, mit denen unser Autor im Laufe zu tun hatte: Margret Thatcher (die beiden mochten sich gar nicht), Rupert Murdoch (eine auf den Punkt gebrachte, knappe, sarkastische Vernichtung), eine gespenstische Begegnung des Sozialdemokraten Fritz Erler mit dem damaligen Premierminister Harold Macmillan und vieles mehr.
Am Ende einer faszinierenden Lektüre haben wir viel über die komplexen Beziehungen zwischen Wirklichkeit und Literatur gelernt. Über den Menschen David Cornwell eher wenig, denn der bleibt auch sich gegenüber skeptisch. Und das sagt dann letztendlich doch viel über ihn aus.