John le Carré: "Silverview"
Aus dem Englischen von Peter Torberg
Ullstein Verlag, Berlin 2021
252 Seiten, 24 Euro
John le Carré: "Silverview"
John le Carré hinterlässt mit seinem letzten Roman eine Botschaft. Sie lautet: Macht‘s wie die jungen Leute. © Deutschlandradio / Verlag Ullstein
Die Schatten von gestern
03:04 Minuten
Ein junger Buchhändler wird in eine Intrige verwickelt, die bis in die Zeit des Kalten Kriegs zurückreicht: John le Carrés posthum veröffentlichter Spionageroman "Silverview" ist in diesem Monat der höchste Neueinstieg in unserer Krimibestenliste.
Was wird eigentlich aus den Geheimnissen, wenn die Geheimnisträger sterben? Das ist eine der Fragen, die der im Dezember 2020 verstobene John le Carré in "Silverview" stellt.
Zu Beginn überbringt eine junge Frau äußerst widerwillig dem Chef der Spionageabwehr einen Brief ihrer im Sterben liegenden Mutter. Welch wichtige Botschaft genau darin steht, erfahren wir nicht, überhaupt bleibt vieles im Dunkeln.
Was im Geheimen geschieht
John le Carré, einer der größten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts, enthüllt keine Geheimnisse mehr – nicht einmal mehr, wie in seinen früheren Romanen, die Intrigen, Machenschaften und Methoden der Geheimdienste, die Rückschlüsse erlaubten auf ihr verborgenes, zumeist unmoralisches Treiben.
Damit entzieht le Carré, wie Thomas Wörtche festgestellt hat, in seinem letzten Roman so trickreich wie (selbst-)kritisch der Spionageliteratur eine wesentliche Sinnebene: Uns Außenstehenden wenigstens mit den Mitteln der Fiktion etwas davon zu erzählen, was im Geheimen angeblich in unserem Auftrag geschieht.
Wie schon in seinem vorausgegangenen Roman "Federball" setzt le Carré auf die Jugend, erzählt "Silverview" zum großen Teil aus ihrem Blickwinkel.
Unwillig, aber den Geheimdienstregeln ihrer Mutter treu, einer alten Nahostagentin, überbringt die alleinerziehende Lily den Brief. Naiv – er kennt nicht einmal den großen Schriftsteller W.G. Sebald! – lässt sich der wohlhabende Jungbuchhändler Julian vom alten Agenten Edward in dessen undurchschaubare Projekte verwickeln. Und Edward ist nicht zufällig Ehemann der Briefschreiberin und Lilys Vater.
Botschaft an die Lesenden
Zwar lösen Brief und Buchhandelsprojekte hektische Aktivitäten auf Seiten der Spionageabwehr aus. Aber die Suche nach Lecks, Maulwürfen und Verrätern führt nur in abgelegte Vergangenheiten: erloschene Liebschaften, eingemottete Atombunker, modrige Loyalitäten.
In diesem von seinem Schriftstellersohn Nick Cornwell fertig polierten Roman hinterlässt John le Carré seinen aufmerksamen Lesern einen Kassiber. Seine Botschaft lautet: Macht‘s wie die jungen Leute Lily und Julian. Seid höflich und hilfsbereit zu den alten Knackern, aber lasst die Finger von deren Scheiß.
Diese Botschaft ist wie immer bei le Carré verklausuliert in wunderbare Dialoge und herrlich falsche Fährten, garniert mit altersweiser ironischer Heiterkeit.