John Lewis-Stempel: "Im Wald. Mein Jahr im Cockshutt Wood"
Aus dem Englischen von Sofia Blind
DuMont, Köln 2020
284 Seiten, 22 Euro
Von Schweinen, Käuzen und Bäumen
06:40 Minuten
Der Farmer und Bestsellerautor John Lewis-Stempel bewirtschaftete vier Jahre lang einen kleinen Wald im südwestlichen England - ausschließlich mit traditionellen Methoden. Sein Tagebuch über das letzte Jahr ist Nature Writing der besten Art.
Es ist eisig kalt an diesem Dezemberabend, als John Lewis-Stempel seinen Schweinen Fressen bringt. Sie sind wie immer um diese Zeit noch tief im Wald, der Farmer lockt sie zum Pferch auf der angrenzenden Wiese, indem er einen Ziegelstein gegen den Blechtrog schlägt. So lange bis ein Antwortquieken aus dem Dunkel schallt und die Tiere mit wehenden Ohren heransausen.
Schweine und Kühe im Wald
Die Waldhutung, bei der Nutztiere frei im Gehölz gehalten werden, war einst ein wichtiger Brauch. Das Vieh fraß Bucheckern und Eicheln sowie Blätter und junge Zweige und verschaffte damit den fruchttragenden großen Bäumen mehr Raum.
Diesen Job hatten auch die Schweine von Lewis-Stempel. Vier Jahre lang pachtete der englische Farmer und Bestsellerautor einen anderthalb Hektar großen Mischwald. Für die Bewirtschaftung setzte er allein auf traditionelle Methoden. Er ließ mit den Schweinen auch Kühe und Schafe darin herumstreifen; er rodete und kappte nach altem Vorbild, ging auf die Jagd, spazieren und studierte dabei Flora und Fauna. Nun liegt sein Tagebuch über das letzte Jahr vor.
Das Buch beginnt im Dezember, "denn wenn die Bäume in ihrer nackten Wahrheit herumstehen, ist die richtige Zeit, um einen Wald zu besichtigen und zu bewerten". So führt Lewis-Stempel seine Leserinnen und Leser erst einmal in seinem Gefilde herum. Er beschreibt den Baumbestand, erläutert die Geschichte des Waldes seit Wilhelm dem Eroberer, führt zum weit im Inneren liegenden See und stellt bei diesem Streifzug auch erste Tiere vor.
Atemberaubendes Nature Writing
Von Monat zu Monat, von Jahreszeit zu Jahreszeit lernt man sie besser kennen. Schnell wird deutlich, warum Lewis-Stempel zu den großen Autoren des Nature Writing gehört. Der 1967 geborene Sohn einer Familie von Landwirten weiß nicht nur genau zu beobachten, er kann auch blendend formulieren. Etwa wenn er Pilze als "verrottende Science-Fiction-Stadt" beschreibt, Waldschnepfen als Ergebnis einer "schrulligen Stimmung" Gottes oder einen Schwarm Dohlen beobachtet, der sich "öffnet wie ein Damenfächer, um sich dann in einen von unsichtbaren Händen geschüttelten Teppich" zu verwandeln.
So atemberaubend schön das zu lesen ist, dem Autor geht es nicht um Naturromantik. Lewis-Stempel muss richtig schuften, er friert und schwitzt, er kämpft und sägt sich durch seinen Nutzwald, dessen Wert als Refugium für Flora und Fauna er allerdings immer wieder betont; insbesondere in Zeiten industrieller Forst- und Bodenwirtschaft.
Die Käuze rufen in B-Dur
Beeindruckend sind auch seine weitreichenden Kenntnisse. Lewis-Stempel weiß um die Heilkraft von Ilex oder den Nutzen von Holunder. Er hört zudem, dass Käuze in B-Dur rufen, er untersucht Redensarten wie "auf Biegen und Brechen" und sampelt all das mit Naturgedichten aus allen Zeiten und eigenen Rezepten - Stichwort: Eichelkaffee!
Das ist große Kunst! Man glaubt dem Autor, dass seine Schweine nach einem Tag im Wald "nach frisch gebügelter Wäsche riechen". Und wenn er sie abends auf der Heimatwiese hinter den Ohren krault, klingt das nach purem Glück: für Mensch und Tier.