John Lewis-Stempel: "Mein Leben als Jäger und Sammler – Was es wirklich heißt, von der Natur zu leben"
Aus dem Englischen von Sofia Blind
DuMont Verlag, Köln 2019
252 Seiten, 22 Euro
Der Traum vom gesunden Essen
05:44 Minuten
Der Engländer John Lewis-Stempel ist Farmer und bekannt für seine außergewöhnlichen Schilderungen des Landlebens. In seinem neuen Buch erzählt er davon, wie es ist, nur von dem zu leben, was die Natur ihm bietet.
Eine Suppe aus Taubenbrühe, Bärlauchzwiebel, Vogelmiere, Klettenwurzel – alles gesammelt in freier Natur! Der Engländer John Lewis-Stempel, Farmer und bekannt für seine außergewöhnlichen Schilderungen des Landlebens, hat sich geschworen, ein Jahr lang nur von dem zu leben, was sich in Wald und Wiese sammeln und jagen lässt. Ein ausgesprochen mühsames Unterfangen, zumal seine Frau und die beiden Kinder sich ganz normal ernähren.
Erlaubt war die Jagd mit dem Gewehr, wenn auch mit Einschränkungen, denn er musste die Schonzeiten für Wild einhalten. Nur Kaninchen durfte er das ganze Jahr über schießen. Da Vogeleier sammeln in Großbritannien generell verboten ist, schaffte er sich Enten an und aß fortan deren Eier. Erlaubt war zudem, auf selbst eingemachte Vorräte zurückzugreifen.
Rezepte für Salate, Suppen, Fleischgerichte
Jedes Buchkapitel ist einem Monat dieses Versuchs gewidmet. Darüber hinaus erzählt der Naturschriftsteller sehr lebendig und amüsant aus seinem Familienalltag und nimmt in Rückblenden mit in seine Kindheit, zu seinem Vater, der Verwalter eines landwirtschaftlichen Betriebs war, und zu seiner Großmutter, die großen Einfluss auf sein Verhältnis zur Natur hatte.
Man entdeckt mit ihm zusammen essbare Pflanzen und Kräuter. Zwischendurch eingestreut sind Rezepte für Salate, Suppen, Fleischgerichte. Salate aus Brennnesseln, Schaumkraut, Klettenlabkraut oder Gänsedistel dürften nicht jedermanns Sache sein. Nüchtern schildert er das blutige Ausnehmen von erjagtem Wild.
Bier aus Brennnesseln und Löwenzahn
Mehl gewinnt er mühsam aus Eicheln, Löwenzahlwurzeln, Kastanien. Haselnussöl ist wohl sehr lecker, aber ein Pfund Haselnüsse ergibt nicht mal einen Teelöffel Öl. Ansonsten liefern nur Enten Fett. Honig dient als Zuckerersatz. Der Autor braut Bier aus Brennnesseln und Löwenzahn, Wein aus Schlehen, Cider aus Wildäpfeln.
John Lewis-Stempel lässt keinen Zweifel daran aufkommen, wie unglaublich anstrengend so ein Leben ist. Von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang ist er draußen mit der Suche nach Essbarem, egal ob es regnet, schneit oder die Sonne scheint. Oft hat er Hunger und wenig zu essen. Doch eisern hält er durch. Das ist bewundernswert. Glücksgefühle wechseln mit Schwächeperioden, Jubel mit Verzweiflung, wie er selbstironisch und offenherzig erzählt.
Ganz nebenbei lernt man so viel über Pflanzen und Tiere, sieht die Natur plötzlich mit anderen Augen, erfährt, wie viel Essbares in Vergessenheit geraten ist und beginnt, über das eigene Verhältnis zur Natur nachzudenken.
Das ursprüngliche Leben ist eine Verklärung
Und doch zeigt dieses Buch auch, die Sehnsucht nach dem ursprünglichen Leben, die vor allem viele Großstädter verspüren, ist letztendlich auch eine Verklärung. Denn das, wovon der Engländer hier erzählt, entspringt einem knallharten Leben, reduziert auf das Wesentliche, auf die eigenen Ressourcen, geprägt von Verlust. Auch wenn er Mut macht, für den nächsten Salat auch einmal wilde Kräuter und Pflanzen auszuprobieren, ist dieses amüsant geschriebene Buch so doch auch eine Lehre: Vom Leben unsere Vorfahren lässt es sich vortrefflich schwärmen, wenn der nächste Supermarkt um die Ecke liegt.