John O’Connell: "Bowies Bücher. Literatur, die sein Leben veränderte"
Aus dem Englischen übersetzt von Tino Hanekamp
Mit Illustrationen von Luis Paadin
Kiepenheuer & Witsch/Köln 2020
384 Seiten, 16 Euro
Ein neuer Blick auf einen leidenschaftlichen Leser
07:08 Minuten
David Bowie ließ sich einen Koffer bauen, der ihm erlaubte, bis zu 1500 Bücher mit auf seine Reisen zu nehmen. Welche Lektüre in dieser mobilen Bibliothek Platz fanden und wie sie Bowies Leben beeinflussten, erzählt John O’Connell in einem amüsanten Buch.
Als David Bowie von "Vanity Fair" gefragt wurde, was seiner Vorstellung des perfekten Glücks am nächsten komme, antwortete er: "Lesen." Tatsächlich gibt es zahlreiche Fotografien des Popstars, auf denen er vertieft in seine Lektüre zu sehen ist und es gibt schöne Anekdoten über seine mobile Bibliothek, die er sich extra für seine Zug- und Schiffsreisen (denn Bowie hasste Flugzeuge) bauen ließ – ein Koffersystem, in das rund 1500 Bücher passten.
Als 2013 im Londoner Victoria & Albert Museum die Ausstellung "David Bowie Is" eröffnet wurde, waren neben Kostümen, Kunstwerken und handgeschriebenen Songtexten auch einige dieser Bücher zu sehen. Zudem wurde eine Liste veröffentlicht, mit den hundert Büchern, von denen Bowie überzeugt war, sie hätten sein Leben verändert.
Von Klassikern über Krimis bis zur Popgeschichte
Auf dieser Liste beruht nun das Buch des englischen Musikjournalisten John O’Connell, der seit seinem zwölften Lebensjahr ein obsessiver Bowie-Fan ist und auch von einem Interview mit dem Superstar berichtet, bei dem dieser ihm nicht nur "vollkommen freundlich und höflich" begegnete, sondern mit dem Witz eines Stand-up-Comedian.
Etwas von Bowies Humor spiegelt auch seine Bücherliste, auf der sich Klassiker finden wie die "Ilias" von Homer, das "Inferno" von Dante, Flauberts "Madame Bovary" oder Camus' "Der Fremde", aber auch Orlando Figes monumentale "Tragödie eines Volkes" und dazwischen Comics, Jugendzeitschriften oder Nik Cohns Popkulturgeschichte "Awopbopaloobop Alopbamboom".
Auf Platz 94 hat Bowie Christa Wolfs "Nachdenken über Christa T." gesetzt, um besser zu verstehen, wie die Bürger der DDR dachten, mutmaßt John O’Connell – womit sich eine Schwäche dieses durchaus amüsanten und vielschichtigen Buchs zeigt.
Denn da Bowie sich selbst leider kaum zu seinen Lektüreeindrücken geäußert hat, ist alles, was über Titel und Autor der gelisteten Bücher hinaus geht, reine Spekulation. Wobei John O’Connell vielschichtig und kenntnisreich assoziiert und die einzelnen Bücher stets im Wechselspiel mit Bowies Werk liest. Es geht also um den Effekt, den Kunst – in diesem Fall Literatur – auf Bowies Werk hatte.
Wechselspiel zu Bowies Liedern
Manches ist recht naheliegend, etwa wenn O’Connell schreibt, dass Listenplatz 1 - Anthony Burgess "Clockwork Orange" und Stanley Kubricks Verfilmung des Romans - einen starken Einfluss auf Bowies Kunstfigur Ziggy Stardust hatten. Meist sind O’Connells Überlegungen zu Bowies Büchern aber überraschend und witzig, etwa wenn er sich bei William Faulkners Roman "Als ich im Sterben lag" fragt, ob Bowie sich an die wichtige Rolle, die Zähne in diesem Buch spielen, erinnerte, als er sich in den späten Neunzigern sein schiefes Gebiss richten ließ oder wenn er überlegt, ob Bowie etwas gegen Katzen hatte, weil er gleich zwei Bücher auf der Liste hat, in denen ein Kätzchen getötet wird (Richard Wrights "Black Boy" und Yukio Mishimas "Der Seemann, der die See verriet").
Zweifellos hätte sich jeder Bowie-Fan gewünscht, sein Idol hätte selbst etwas mehr zu den einzelnen Büchern auf seiner Liste verraten als die kurzen Bemerkungen, die von ihm überliefert sind - zum Beipiel als er 1999 dem Magazin Q. sagte: "Ich liebe Stephen King. Der jagt mir eine Heidenangst ein."
Doch auch gemeinsam mit John O’Connell bringt der Ausflug in Bowies Buchwelt Spaß und eröffnet neue Perspektiven auf Leben und Werk eines Künstlers, der hier nochmal anders, nämlich durch seine Lektüren gelesen wird. Dass O’Connell zu jedem Buch auch noch einen Song empfiehlt, den man – wie ein gutes Glas Wein – dazu genießen soll, macht "Bowies Bücher" zu einem wirklich erhellenden Trostbuch.