An der Grenze des Geschmacks
Der US-Regisseur John Waters genießt einen legendären Ruf als obszöner "King of Trash". Als bildender Künstler pflegt er sein Schmuddel-Image in einer etwas sanfteren Version. Das Kunsthaus Zürich zeigt jetzt Werke des amerikanischen Filmemachers.
Wer sich mit John Waters abgibt, muss schon was vertragen. Einer seiner Lieblingsfilme, sagt er, sei Ingmar Bergmans "Das Schweigen", und zwar weil der Schwede darin als erster Regisseur das Kotzen im Kino gesellschaftsfähig machte. Und in der berüchtigten Schlussszene seines Streifens "Pink Flamingos" von 1972 schiebt sich die Hauptdarstellerin, die Drag Queen Divine, live und ohne Schnitt ein Stückchen Hundekacke in den Mund.
Dabei legt Waters stets ein erlesenes Benehmen an den Tag. Sein Markenzeichen ist ein lidstrichdünner Oberlippenbart, er ist ein Gentleman von ausgesuchter Liebenswürdigkeit.
"Ich glaube schon, dass ich einen guten Geschmack habe. Ich kenne mich auch mit schlechtem aus. Aber dazu muss man alle Regeln des guten Geschmacks kennen, und die haben mir meine Eltern sehr sorgfältig beigebracht. Das ist wahrscheinlich der Grund, warum ich dagegen rebellierte. Das war fast schon faschistisch, dieser gute Geschmack, mit dem ich aufgewachsen bin. Aber ich bin dankbar dafür. Denn man kann keinen Spaß an schlechtem Geschmack haben, wenn man nicht die Regeln kennt, die man dazu brechen muss."
Geschmacksfragen also. Bei Waters geht das so: In einer Vitrine liegt eine zerknautschte platinblonde Perücke mit einer schwarzen Schleife, darunter der Ansatz einer abgerissenen Stirn. Ein verstörender Anblick. "Tragedy" - "Tragödie" heißt das nagelneue Werk, das sich auf den Autounfalltod von Jayne Mansfield bezieht, der stets etwas vulgären Filmblondine, der dabei angeblich der Kopf abgetrennt worden sei. Andere behaupten, es sei lediglich ein Fetzen Kopfhaut mit dem blonden Skalp abgerissen, und manche wollen wissen, es sei nur ihre Perücke gewesen.
Wirklich schlechter Geschmack
Wie auch immer: Die plastische Transformation eines Sexsymbols in ein anatomisches Desaster aus synthetischem Haar und Silikon ist drastisch. Typisch Waters eben. Er zeigt auch die einst vom Grabmal des von ihm verehrten Dichters Jean Genet gestohlene Marmorplatte - eine Anspielung auf die Souvenirjäger, die auch vor Grabschändung nicht zurückschreckten. Und natürlich ist es nicht die echte Platte, soll aber wohl heißen: wirklich schlechter Geschmack ist das, was andere tun.
Die gezeigten Werke stammen alle aus der Sammlung des Zürichers This Brunner, einem in der Welt der Filmstars bestens vernetzten Cineasten und – wie Waters – offen schwul. In ihm hat Waters einen Geistes- und Gefühlsverwandten.
"This hat einen perfekten Geschmack, guten wie schlechten. Er weiß, was ankommt. Ich bin ihm verbunden, seit ich ihn kenne. Durch ihn habe ich so viele Leute kennengelernt: das Künstlerduo Fischli und Weiss oder den Kunsthändler Thomas Ammann. This Brunner hat einen großen Beitrag für die Künste geleistet. Sein Auge als Sammler ist brillant. Er versteht die zeitgenössische Kunst und versucht sie anderen zu vermitteln und verständlich zu machen."
Mit Photoshop in Form gebracht
Naturgemäß hat vieles, was Waters macht, mit dem Film zu tun. Eine Serie von Standfotos etwa mit dem Gesicht von Audrey Hepburn, dem American Darling, und stets ist ihre Haut mit künstlichen Knutschflecken übersät. Ein paar kitschige Porzellanteller mit barbiehaft hochtoupierten Wasserstoff-Blondinen als Motiv, oder der legendäre Filmhund Lassie, mit Photoshop in zeitgemäße Form gebracht. Alles sehr amerikanisch, oberflächlich und auf humorvolle Weise entlarvend.
Auf einem riesigen Button in den Farben der amerikanischen Nationalflagge, wie er im Wahlkampf millionenfach verwendet wird, steht der Slogan: "Hab Sex in der Wahlkabine". Das ist manchmal geistreich, manchmal plump, und manchmal auch bestürzend banal, doch nur selten obszön. John Waters, das sind böse Spötteleien, ironische Kommentare, zynische Seitenhiebe, Aphorismen für Insider. Ein grelles Plakat parodiert eine Werbung für die elitäre texanische Künstlerkolonie Marfa im billigen Reklamestil von Vergnügungsparks. Das hat schon Witz für den, der es versteht, mehr aber auch nicht.
Waters kann auch lustvoll selbstironisch sein. Als "Beverly Hills John" präsentiert er sein übertrieben geliftetes Selbstporträt mit wulstig aufgespritzten Lippen – die Visage eines Freaks. An ihm selbst, betont der 69-Jährige, sei noch alles echt, nur die Zähne habe er sich machen lassen. Und so sehen sie auch aus: makellos und künstlich.
Ja, das Alter. Er habe sich mal eine Reihe von Schlagzeilen zu seinem eigenen Tod vorgestellt, sagt er. Am besten habe ihm die gefallen:
"John Waters von Müllauto überrollt."
"John Waters von Müllauto überrollt."
Die Ausstellung ist im Kunsthaus Zürich bis zum 1. November 2015 zu sehen.